Das Bourne Duell
sich auf seinem Stuhl zurück. Sie saßen an einem Ecktisch auf der Terrasse des Restaurants im Caravanserai , einem kleinen exklusiven Hotel in Virginia, das Essai gehörte. An drei Seiten standen von Efeu überwucherte Ziegelwände, die vierte Seite wurde von riesigen Glastüren eingenommen, die ins Innere des Restaurants führten.
Man hatte ihnen Minztee serviert und eine elegante Speisekarte mit den frischen Tagesgerichten gebracht, doch Moira interessierte sich viel mehr für ihren Gastgeber. Er wirkte nun entspannter, sei es, weil sie drauf und dran war, sein Angebot anzunehmen, oder weil er hier in einer Umgebung war, in der er alles unter Kontrolle hatte. Während das Innere des Restaurants zur Hälfte gefüllt war, saßen sie als Einzige draußen auf der mit Steinplatten ausgelegten Terrasse. Eine ganze Schar von Kellnern stand bereit, um die Wünsche ihres Herrn zu erfüllen. Die Umgebung strahlte etwas Exotisches aus, als wäre man weit weg von den Vereinigten Staaten.
»Ich könnte lügen, aber dazu respektiere ich Sie zu sehr.« Essai befeuchtete seine Lippen mit dem Tee. »Die Geschichte meiner Familie ist sehr wohl von Interesse – möglicherweise sogar von großem Interesse – für gewisse Regierungskreise, aber auch für bestimmte Personen und Organisationen im privaten Sektor.«
»Woran liegt das?«, fragte Moira. »Und ich bitte um eine möglichst konkrete Antwort.«
Essai lächelte. »Ich habe gleich gewusst, dass ich Sie mögen würde, als wir uns begegneten – und ich hatte recht.«
»Haben Sie vielleicht eine Wette mit Mr. Binns abgeschlossen?«
Essai lachte, und es klang dunkel und fast unheimlich, so als würde ein Gong angeschlagen. »Dann hat er Ihnen also von unserer kleinen Wette erzählt?« Er schüttelte den Kopf. »Unser Mr. Binns ist ein konservativer Mensch. Auf mehr als eine Wette wollte er sich nicht einlassen.«
Moira fiel das Wort »unser« auf, beschloss aber, es für den Moment zu ignorieren. »Kommen wir zurück zur Sache.«
Essai nahm noch einen Schluck von seinem Tee. So wie die meisten Menschen, die aus der arabischen Welt stammten, war er es nicht gewohnt, eine Sache direkt anzusprechen; er zog es vor, sich ihr auf Umwegen anzunähern, sodass beide Parteien erst einmal Zeit hatten, wertvolle Informationen zu sammeln, bevor sie ein Geschäft abschlossen. Moira wusste das natürlich, aber Binns und Essai hatten sie ein wenig überrumpelt, und das mochte sie gar nicht. Sie musste die Kontrolle über die Situation zurückgewinnen, die sie verloren hatte, als Essai sie im Auto mit einigen Überraschungen konfrontiert hatte, und sie dachte sich, dass der beste Weg dazu war, den Rhythmus und die Richtung des Gesprächs zu bestimmen.
»Die Sache hat irgendwie mit Noah zu tun, nicht wahr?«, sagte sie plötzlich. »Er war in den Diebstahl verwickelt, und jetzt wenden Sie sich an mich, weil ich bei Black River für ihn gearbeitet habe, stimmt’s?«
Essai sah sie an. »Sie sind aus vielen Gründen die Richtige für diese Aufgabe, wie ich schon sagte. Und – ja, einer der Gründe ist Ihre Verbindung zu Noah Perlis.«
»Was hat Noah getan? War er es, der den Laptop gestohlen hat?«
Essai hatte seine Speisekarte zur Hand genommen und studierte sie. »Ah, heute gibt es als Spezialität die Dover-Seezunge. Die kann ich Ihnen sehr empfehlen.« Er blickte auf und sah sie mit ernsten Augen an. »Sie wird mit echtem marokkanischen Couscous serviert.«
»Dann kann ich wohl nicht Nein sagen.«
»Wunderbar!« Er schien sich aufrichtig zu freuen, und als er sich umdrehte, stand schon ein Kellner bereit. Er bestellte für sie beide und reichte dem Mann die Speisekarten. Als sie wieder allein waren, legte er die Fingerspitzen ans Kinn und sagte in unverändertem Ton: »Ihr verstorbener und – wie ich annehme – kaum betrauerter Ex-Chef Mr. Perlis hatte sehr wohl damit zu tun.«
Moira beugte sich erwartungsvoll vor. »Und?«
Er zuckte die Achseln. »Weiter können wir nicht gehen, solange unser Geschäft nicht besiegelt ist. Sind Sie bereit, meinen Laptop zu finden, oder nicht?«
Moira spürte zwar, dass sie atmete, doch es kam ihr vor, als wäre sie losgelöst von ihrem Körper, als würde sie die Szene von hoch oben beobachten. Und sie sah alles plötzlich ganz klar: Natürlich konnte sie Nein sagen, auch jetzt noch – aber sie stellte fest, dass sie die Aufgabe nicht ablehnen wollte. Sie brauchte etwas zu tun, eine Tür, die für sie aufging; außerdem hatte ihr
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