Das Bourne Duell
Ihnen sagen.«
Es war kurz nach Mitternacht. Er war in ein indisches Restaurant gegangen und mit dem Essen für sie beide in Tracys Wohnung zurückgekehrt, wo ihm Chrissie nach ein paar halbherzigen Bissen nur noch beim Essen zusah. Nach den turbulenten Ereignissen vor der Bank war es besser, wenn er erst einmal untertauchte. Er würde heute auch nicht in sein Hotel zurückkehren.
Wie er sie so auf dem Sofa gegenüber sitzen sah, erinnerte er sich an etwas anderes, das Tracy in der Nacht, bevor sie starb, gesagt hatte:
»In seinen eigenen Gedanken kann man alles sein und alles tun, was man will. Da ist alles möglich, aber in der wirklichen Welt, da ist es so verdammt schwer, irgendwas zu verändern.«
»Man könnte ja eine ganz neue Identität annehmen«, hatte er geantwortet, »eine, mit der es nicht so schwer wäre, etwas zu verändern, weil man auch seine eigene Geschichte neu erfinden kann.«
Sie hatte genickt. »Ja, aber das hat auch seine Nachteile. Keine Familie, keine Freunde – es sei denn, es macht einem nichts aus, dass man ganz auf sich allein gestellt ist.«
»In der Nacht, bevor sie starb«, begann er schließlich, »da hat sie etwas gesagt, aus dem man schließen könnte, dass sie vielleicht doch ganz gern eine eigene Familie gehabt hätte.«
Einen Moment lang sah sie ihn verblüfft an. »Wissen Sie, das Komische ist … na ja, eigentlich ist es eher tragisch, aber manchmal habe ich sie richtig beneidet. Sie war so ungebunden, hatte nie geheiratet, sie konnte gehen, wohin sie wollte und wann sie wollte, und das hat sie auch getan. Das Leben war für sie ein einziges Abenteuer, sie hat kein Risiko gescheut. Die Gefahr hat sie richtig stimuliert, vielleicht brauchte sie dieses Gefühl, das man hat, wenn man Achterbahn fährt – sich so schnell zu bewegen, dass man fast die Kontrolle verliert.« Sie lachte bitter auf. »Als ich das letzte Mal mit der Achterbahn fuhr, wurde mir so übel, dass ich mich fast übergeben hätte.«
Irgendwie tat sie ihm leid, aber etwas in ihm – die Bourne-Identität, könnte man sagen – versuchte weiter zu bohren, um vielleicht noch mehr über Tracy und ihr rätselhaftes Verhältnis zu Leonid Arkadin zu erfahren. In dieser Hinsicht war sie für ihn nur ein Mittel zum Zweck, kein menschliches Wesen. Er hasste sich selbst dafür, andererseits hätte er ohne diese emotionslose Haltung nie etwas bewirken können. Das war nun einmal
ein Teil seiner Persönlichkeit – der Teil, den Treadstone geformt hatte. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, er war ein Produkt dieser Ausbildung, genauso wie Arkadin. Und doch lag ein tiefer Abgrund zwischen ihnen, den vielleicht niemand außer ihnen beiden sehen konnte, und deshalb suchten sie nach irgendeiner Möglichkeit, wie man den anderen vernichten konnte, ohne sich dabei selbst zu zerstören. Es gab Momente, in denen er sich fragte, ob das überhaupt möglich war, ob nicht beide würden gehen müssen.
»Wissen Sie, was ich mir manchmal wünsche?«, fuhr sie fort und wandte sich ihm zu. »Erinnern Sie sich an den Film Superman ? Kein großartiger Film, aber trotzdem – da stirbt Lois Lane, und Superman fliegt in seinem Kummer so schnell um die Erde, dass er die Zeit zu dem Punkt zurückdreht, bevor Lois getötet wird, und dann rettet er sie.« Ihre Augen waren auf sein Gesicht gerichtet, doch sie sah in Wirklichkeit etwas anderes. »Ich wünschte, ich wäre Superman.«
»Sie würden die Zeit zurückdrehen und Tracy retten.«
»Wenn ich könnte. Aber auch wenn das nicht geht, wüsste ich gern, wohin mit meinem verdammten Kummer.« Sie versuchte tief durchzuatmen und verschluckte sich fast an ihren Tränen. »Es zieht mich so hinunter, als hätte man mir einen Anker an den Rücken gebunden, oder Tracys toten Körper, kalt und steif, der sich … nie mehr bewegt.«
»Das Gefühl geht vorbei«, sagte Bourne.
»Ja, wahrscheinlich, aber was ist, wenn ich das gar nicht will?«
»Wollen Sie ihr in die Dunkelheit folgen? Was ist mit Scarlett, was wird dann aus ihr?«
Chrissie wurde rot im Gesicht und sprang auf. Bourne ging ihr nach, als sie ins Schlafzimmer eilte und durch das Fenster auf den Birnbaum hinausblickte, der nun vom silbrigen Mondlicht beschienen wurde. »Verdammt, Tracy, warum bist du gegangen? Wenn sie jetzt hier wäre, dann würde ich ihr den Hals umdrehen.«
»Oder sie müsste Ihnen versprechen, dass sie sich nicht mehr mit Arkadin abgibt.«
Bourne hoffte, dass Arkadins Name irgendetwas in ihrer
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