Das Bourne Imperium
ausgestellt wurde.«
»Macao?«
»Ja.«
»Und wann ist das Einreisedatum?«
»Morgen. Bei Lo Wu über die Grenze.«
Jason musterte den Chinesen prüfend. »Sie haben gesagt, Ihr Klient hätte Gewährsleute im Konsulat. Haben Sie die auch?«
»Was Sie jetzt denken, wird Sie sehr viel Geld kosten, weil das Risiko sehr groß ist.«
Bourne hob den Kopf und blickte durch den strömenden Regen zu dem von Scheinwerfern angestrahlten Götzenbild hinüber. Etwas hatte sich bewegt; der Späher suchte sein Ziel. »Warten Sie hier«, sagte er.
Die Fahrt im Frühzug von Kowloon zum Grenzkontrollpunkt Lo Wu dauerte nur eine knappe Stunde. Die Erkenntnis, dass er sich in China befand, dauerte keine zehn Sekunden.
Lang lebe die Volksrepublik!
Das Ausrufezeichen war überflüssig, die Grenzposten lebten es. Sie waren steif, unfreundlich, fast rüde, und knallten ihre Gummistempel mit der Wut feindseliger Jugendlicher in die Pässe. Dafür gab es etwas anderes, was dafür entschädigte. Hinter den Grenzwachen stand eine Schar uniformierter junger Frauen lächelnd an ein paar langen Tischen, die mit Prospekten überhäuft waren, die die Schönheit und die Tugenden ihres Landes und seines Systems priesen.
Wenn das Heuchelei war, merkte man es ihnen jedenfalls nicht an.
Bourne hatte dem verratenen, todgeweihten Kontaktmann
siebentausend Dollar für das Visum bezahlt. Es war fünf Tage gültig. Als Besuchsgrund stand darauf »geschäftliche Investitionen in der Wirtschaftszone«, und es konnte von der Einwanderungsbehörde von Shenzen verlängert werden, falls er Beweise seiner Investitionen vorlegte und mit ihm ein chinesischer Bankier dort erschien, der das Geschäft vermittelt hatte. In seiner Dankbarkeit hatte der Kontaktmann ihm noch gratis den Namen eines Bankiers in Shenzen genannt, der »Mr. Cruett« ohne Mühe Investitionsmöglichkeiten bescheinigen konnte, wobei besagter Mr. Cruett immer noch im Regent-Hotel in Hongkong gemeldet war. Dann gab es noch einen Bonus von dem Mann, dessen Leben er an der Repulse Bay gerettet hatte: die Beschreibung des Mannes, der mit einem in Macao ausgestellten Pass über den Grenzkontrollpunkt gegangen war. Er war 1,83 m groß, 83 kg schwer, von weißer Hautfarbe und hatte hellbraunes Haar. Jason hatte sich die Notiz verblüfft angesehen und sich unbewusst der Daten auf dem eigenen Ausweis erinnert: dort stand Gr.: 1,83 m, Gew.: 84 kg. Männlich. Haarfarbe: hellbraun. Ein seltsames Gefühl der Furcht machte sich in ihm breit. Nicht die Furcht vor einer Konfrontation; die wünschte er sich sogar, weil er Marie zurückhaben wollte, mehr als alles andere. Nein, es war der Schrecken darüber, dass er für die Erschaffung eines Ungeheuers verantwortlich war. Ein tödlicher Killer, der aus einem tödlichen Virus hervorgegangen war, den er in dem Labor seines Bewusstseins und seines Körpers zur Perfektion herangezüchtet hatte.
Der Zug, mit dem er Kowloon verlassen hatte, war der erste Zug am Tag gewesen, voll mit Facharbeitern und leitenden Angestellten, denen die Volksrepublik den Zugang zur freien Wirtschaftszone von Shenzen erlaubt hatte, in der Hoffnung, dort ausländische Investoren anzulocken. Bei jedem Halt auf dem Weg zur Grenze, während immer weitere Passagiere zustiegen, war Bourne durch die Waggons gegangen, und sein Blick hatte die weißen Männer gemustert, von denen es, als sie schließlich Lo Wu erreichten, insgesamt nur noch vierzehn gab. Keiner hatte auch nur
entfernt der Personenbeschreibung des Mannes aus Macao entsprochen – der Personenbeschreibung, die auch auf ihn zutraf. Der neue »Jason Bourne« würde einen späteren Zug nehmen. Das Original würde auf der anderen Seite der Grenze warten. Und dort wartete er jetzt.
In den vier Stunden, die inzwischen verstrichen waren, hatte er sechzehnmal auf die Fragen des Grenzpersonals geantwortet, dass er auf einen Geschäftskollegen warte; er hatte offensichtlich den Fahrplan falsch verstanden und einen viel zu frühen Zug genommen. Wie es in fremden Ländern, aber ganz besonders in Asien, immer der Fall ist, war die Tatsache, dass ein höflicher Amerikaner sich die Mühe gemacht hatte, ihre Sprache zu lernen, ganz entschieden von Vorteil. Man hatte ihm vier Tassen Kaffee und siebenmal heißen Tee angeboten, und zwei der uniformierten Mädchen hatten ihm kichernd übersüßte chinesische Eiscreme gereicht. Er nahm alles an – alles andere wäre unhöflich gewesen, und da der größte Teil der Viererbande nicht nur
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