Das Bourne Imperium
müssen das alles von Grund auf verstehen. Sie müssen diese Frau finden!«
Marie stand am Fenster in Catherines Wohnung und blickte auf das rege Treiben auf der Straße hinab. Die Straßen waren wie stets überfüllt, und sie empfand den überwältigenden Drang, das Appartement zu verlassen und sich anonym unter die Menge zu mischen und durch die Straßen zu laufen, in das Asian House zu gehen, in der Hoffnung, David zu finden. Dann würde sie sich wenigstens bewegen, Leute anstarren, hören, hoffen – und nicht immer nur
stumm vor sich hingrübeln und dabei fast den Verstand verlieren. Aber sie konnte nicht weg; sie hatte Catherine ihr Wort gegeben. Sie hatte ihr versprochen, in der Wohnung zu bleiben, niemanden einzulassen und sich nur dann am Telefon zu melden, wenn es zuerst zweimal klingelte, dann wieder aufgelegt wurde und das Telefon gleich darauf noch mal läutete. Dann würde Catherine am Apparat sein.
Liebe Catherine, tüchtige Catherine – verängstigte Catherine. Sie versuchte, ihre Angst zu verbergen, aber man konnte diese Angst aus ihren tastenden Fragen heraushören, die zu schnell, zu eindringlich gestellt wurden, aus ihren viel zu fassungslosen Reaktionen auf Antworten, wenn sie schneller atmen musste, während ihr Blick abschweifte und ihre Gedanken sich ganz offensichtlich überschlugen. Marie hatte das alles nicht verstanden, aber sie verstand sehr wohl, dass Catherine die Unterwelt des Fernen Ostens recht gut kannte, und wenn jemand mit solchem Wissen die Furcht vor dem Gehörten zu verbergen suchte, dann war an der Geschichte viel mehr dran, als die Erzählerin wusste.
Das Telefon. Es klingelte zweimal. Dann Stille. Dann ein drittes Klingeln. Marie rannte zum Couchtisch und hob den Hörer mitten im dritten Klingeln ab.
»Ja?«
»Marie, als dieser Lügner McAllister mit dir und deinem Mann sprach, hat er doch ein Varieté in Tsim Sha Tsui erwähnt, wenn ich mich richtig erinnere. Habe ich Recht?«
»Ja, das hat er. Er hat gesagt, eine Uzi – das ist eine Waffe …«
»Ich weiß, was eine Uzi ist. Angeblich sind die Frau des Taipan und ihr Liebhaber in Macao mit derselben Waffe umgebracht worden. War es nicht so?«
»So war es.«
»Aber hat er etwas über die Männer gesagt, die in dem Varieté drüben in Kowloon getötet worden sind? Irgendetwas?«
Marie dachte nach. »Nein, ich glaube nicht. Nur die Waffe hat er erwähnt.«
»Und das weißt du ganz genau?«
»Ja. Sonst würde ich mich daran erinnern.«
»Bestimmt«, gab Catherine ihr Recht.
»Ich bin dieses Gespräch tausendmal durchgegangen. Hast du etwas herausbekommen?«
»Ja. Im Lisboa-Hotel in Macao hat sich nie ein solcher Mord abgespielt, wie McAllister ihn euch geschildert hat.«
»Das ist vertuscht worden. Der Bankier hat dafür bezahlt.«
»So viel wie mein verlässlicher Informant kann er gar nicht bezahlt haben – und mein Informant hat nicht nur in Geld, sondern mit dem begehrten makellosen Stempel seines Amtes bezahlt. Auf lange Sicht bringt das mehr ein. Vor allem beim Austausch von Informationen.«
»Catherine, was willst du damit sagen?«
»Dass das entweder die ungeschickteste Operation ist, von der ich je gehört habe, oder ein brillant ausgeheckter Plan, um deinen Mann in Machenschaften hineinzuziehen, die er nie in Betracht gezogen hätte, an denen er sich ganz bestimmt nie beteiligt hätte. Ich fürchte Letzteres.«
»Warum sagst du das?«
»Ein Mann ist heute Nachmittag auf dem Kai-tak-Flughafen angekommen, ein Staatsmann, der stets viel mehr als ein bloßer Diplomat war. Wir alle wissen das, nur die Welt weiß es nicht. Seine Ankunft ist uns über Computer gemeldet worden. Als die Medien ihn interviewen wollten, hat er abgelehnt und erklärt, er mache lediglich Urlaub in seinem geliebten Hongkong.«
»Und?«
»Er hat in seinem ganzen Leben noch nie Urlaub genommen.«
McAllister rannte in den von einer Mauer umgebenen Garten mit seinen Spalieren und weißen Schmiedeeisenmöbeln und den Rosenbeeten und den kleinen Teichen hinaus. Er hatte die Treadstone-Akte in den Safe gelegt, aber was er gelesen hatte, war seinem Bewusstsein unauslöschlich eingeprägt. Wo waren sie? Wo war er ?
Dort waren sie! Sie saßen auf zwei Betonbänken unter einem Kirschbaum. Lin beugte sich vor und war, seinem Ausdruck nach zu schließen, völlig gebannt. McAllister konnte einfach nicht anders; er fing zu rennen an und war außer Atem, als er den Baum erreichte. Er starrte den Major von MI-6
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