Das Bourne Imperium
ausstatten. Plastiksprengstoffe konnte man nicht nur auf Minuten einstellen, sondern bis auf ein paar Sekunden genau; man konnte sie in kleinen Schachteln oder Paketen verstecken, sogar in schmalen Aktentaschen … oder dicken Taschen, wie sie für Fotoausrüstungen benutzt wurden, ohne dass sie notwendigerweise ein Fotograf tragen musste. Wieder wanderten seine Blicke, suchten die Scharen von Reportern und Fotografen ab, huschten über den schwarzen Asphalt, unter Röcke und Hosen, hielten Ausschau nach einem Behältnis, das auf dem Asphalt stand. Er konzentrierte sich auf die Reihen von Männern und Frauen vorn an der Absperrung. In seiner Vorstellung war das Paket höchstens dreißig Zentimeter lang, wenn es dick war – fünfzig vielleicht, wenn es sich um einen Gerätekoffer handelte. Eine kleinere Ladung würde nicht ausreichen, die Repräsentanten beider Regierungen zu töten. Die Flughafenbeleuchtung war stark, aber sie erzeugte auch Schatten. Er hätte eine Taschenlampe mitbringen sollen – immer hatte er eine bei sich gehabt, denn noch die kleinste war auch eine Waffe! Wie hatte er das vergessen können? Und dann sah er zu seinem Erstaunen, wie plötzlich die Lichtbalken von Taschenlampen über den Flugplatz huschten, zwischen eben den Hosen und Röcken, die er gemustert hatte. Die Sicherheitspolizei hatte sich dieselbe Theorie zu eigen gemacht! La-Guardia-Flughafen, 1972; Lod-Flughafen, Tel Aviv, 1974; Rue de Bac, Paris, 1975; Harrods, London 1982, und so weiter, von Teheran bis Beirut. Sie waren auf dem Laufenden, er nicht. Seine Gedanken bewegten sich nur langsam – und das durfte er nicht zulassen! Wer? Wo?
Die riesige 747 der Volksrepublik tauchte jetzt wie ein mächtiger Silbervogel auf, und ihre Düsenaggregate brausten noch einmal laut auf, ehe sie leiser wurden und die Maschine auf fremdem Boden auf die vorgesehene Position manövriert wurde. Die Tür öffnete sich, und das Schauspiel
begann. Die beiden Leiter der britischen und der chinesischen Delegation kamen gemeinsam heraus, winkten und kamen dann nebeneinander die Stahltreppe herunter, der eine in der Kleidung von Whitehall, der andere in der eintönigen, ranglosen Uniform der Volksarmee. Zwei Reihen von Delegationsmitgliedern folgten ihnen, wobei sich Asiaten wie Westler für die Kameras die größte Mühe gaben, wie Kollegen zu erscheinen. Die Delegationsleiter traten an die Mikrofone, und während ihre Stimmen über die Lautsprecher und durch den Regen dröhnten, verschwammen die nächsten Minuten für Jason ineinander. Ein Teil seines Bewusstseins war bei der Zeremonie im Scheinwerferlicht, während der andere, größere Teil sich auf die letzte Suche konzentrierte – denn die letzte würde es sein. Wenn der falsche Jason Bourne dort draußen war, dann musste er ihn finden vor der Tat, vor dem Chaos ! Aber, verdammt, wo ? Bourne verließ das mit Seilen abgesperrte Feld auf der rechten Seite, um besser sehen zu können. Ein Posten wollte ihn daran hindern, worauf Jason ihm seinen Ausweis zeigte und dann reglos stehen blieb und die Fernsehteams scharf ins Auge fasste, die Menschen, ihre Geräte. Wenn der Meuchelmörder unter ihnen war, welcher von ihnen war es dann?
»Wir sind gemeinsam erfreut, bekannt geben zu können, dass in Bezug auf die Verträge weitere Fortschritte erzielt worden sind. Das Vereinigte Königreich …«
»Die Volksrepublik China – das einzig wahre China auf dieser Erde – gibt dem Wunsch Ausdruck, gemeinsam mit allen, die …«
Die beiden Redner wechselten sich ab, und jeder sekundierte dem, was die andere Seite sagte, ließ die Welt aber zugleich wissen, dass es noch viel zu verhandeln gab. Hinter aller Höflichkeit, den nichts sagenden Worten und dem künstlichen Lächeln knisterte Spannung. Und Jason fand nichts, worauf er seine Aufmerksamkeit konzentrieren konnte. Nichts. Und so wischte er sich den Regen vom Gesicht und nickte dem Posten zu, während er sich wieder unter der Absperrung hindurchzwängte, wieder in die Menschenmenge
dahinter eintauchte und sich seinen Weg zur linken Seite der Pressekonferenz bahnte.
Plötzlich fühlten sich Bournes Augen zu einer Reihe von Scheinwerferpaaren hingezogen, die im Regen am anderen Ende des Flugfeldes in die Piste einbogen und schnell auf die stehende Boing 747 zurollten. Und dann, wie auf ein Stichwort, brandete Beifall auf. Die kurze Zeremonie war vorbei, die Ankunft der Staatskarossen signalisierte das. Jetzt rollten sie mit ihren Motorradeskorten
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