Das Bourne Imperium
Killer und klammerte sich am Steuer fest, um nicht die Herrschaft über den Wagen zu verlieren.
»Um Ihnen eine Lektion über das Gleichgewicht beizubringen«, antwortete Jason. »Sie sollten verstehen, dass ich aus dem Gleichgewicht geraten bin. Der nächste Schuss könnte Ihren Schädel zerschmettern.«
»Ein Irrer sind Sie, ein beschissener Irrer !«
»Freut mich, dass Sie das begreifen.«
Die Landkarte. Zu den zivilisierten Eigenschaften einer chinesischen Straßenkarte gehörte – und es entsprach wohl der Qualität der in China gebauten Fahrzeuge –, dass jede Tankstelle an den Hauptstraßen, die vierundzwanzig Stunden am Tage geöffnet war, mit einem Sternchen gekennzeichnet war. Man brauchte nur darüber nachzudenken, welche Verwirrung entstehen konnte, wenn militärische
und sonstige amtliche Fahrzeuge plötzlich nicht mehr funktionierten, um zu begreifen, wie notwendig das war. Für Bourne war es ein Geschenk des Himmels.
»Etwa vier Meilen von hier ist eine Tankstelle«, sagte er zu dem Meuchelmörder – zu Jason Bourne, überlegte er. »Halten Sie dort an und tanken Sie und sagen Sie kein Wort – was sowieso sehr unvernünftig wäre, weil Sie ja die Sprache nicht sprechen.«
»Sie tun das wohl?«
»Deshalb bin ich das Original und Sie die Fälschung.«
»Geschenkt, Mr. Original !«
Jason schoss wieder und fegte damit den Rest der Fensterscheibe weg. »Die Fälschung !«, schrie er so laut, dass er den Fahrtwind übertönte. »Denken Sie daran.«
Zeit war der Feind.
Er nahm in Gedanken Inventur dessen auf, was er hatte, und es war nicht viel. Geld war seine wichtigste Munition; er verfügte über mehr, als hundert Chinesen in hundert Leben verdienen konnten, aber Geld allein war nicht die Antwort. Nur Zeit. Wenn er auch nur die geringste Chance hatte, das riesige China zu verlassen, dann war das auf dem Luftwege, nicht auf dem Lande. So lange würde er nicht durchhalten. Wieder studierte er die Karte. Es würde dreizehn bis fünfzehn Stunden dauern, Shanghai zu erreichen – falls der Wagen so lange durchhielt und falls er so lange durchhielt. Und wenn sie an den Polizeikontrollen vorbeikamen; inzwischen wurde mit Sicherheit nach einem Westler oder nach zwei Westlern gesucht. Man würde sie festnehmen – sie beide würde man festnehmen. Und selbst wenn sie Shanghai mit den relativ laschen Flughafenkontrollen erreichten, wie viele Komplikationen würden sich dort trotzdem noch ergeben?
Eine Möglichkeit hatte er – es gab immer Möglichkeiten. Es war verrückt, aber ihm blieb nichts anderes übrig.
Die Zeit war der Feind. Tu es. Eine andere Wahl gibt es nicht.
Er tippte auf ein kleines Symbol am Rand der Stadt Jinan. Ein Flughafen.
Dämmerung. Überall Feuchtigkeit. Die Erde, das hohe Gras und der Drahtzaun glitzerten im Morgentau. Die einzige Piste dahinter war ein glänzender schwarzer Strich, der quer über das kurz gestutzte Feld ging, halb grün vom Tau, halb stumpf braun von der sengenden Sonne, die gestern auf das Feld heruntergebrannt hatte. Die Shanghai- Limousine stand ein gutes Stück von der Flughafenzubringerstraße entfernt, wieder mit Laub getarnt. Der Brite war wieder bewegungsunfähig gemacht, diesmal an den Daumen. Jason hatte dem Meuchelmörder die Pistole gegen die rechte Schläfe gepresst und ihm befohlen, die Drahtspulen in doppelten Ziehknoten um jeden Daumen zu winden und hatte die Spulen dann mit seinem Drahtschneider durchgeknipst, den Draht nach hinten geführt und dem Killer die zwei verbliebenen Stücke um die Handgelenke gewunden. Bei jedem noch so leichten Druck, zum Beispiel, wenn der Killer die Hände verdrehte oder voneinander löste, schnitt der Draht tiefer ins Fleisch ein.
»An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig«, sagte Bourne.
»Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, keine Daumen zu haben? Oder sich die Handgelenke durchzuschneiden?«
»Scheißperfektionist!«
»Da können Sie Gift drauf nehmen.«
Auf der anderen Seite des Flughafens wurde jetzt in einem einstöckigen Gebäude mit einer Reihe kleiner Fenster ein Licht eingeschaltet. Es war eine Art Baracke, einfach und funktionell. Dann flammten weitere Lichter auf – nackte Glühbirnen, kaltes, bläuliches Licht. Eine Baracke. Jason griff nach dem Beutel; er löste die Riemen und legte die Kleidungsstücke im Gras aus. Da war eine weite Mao-Jacke, eine zerdrückte, voluminöse Hose und eine Schirmmütze aus Stoff, die man zu solchen Kleidern zu tragen pflegte. Er stülpte
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