Das Bourne Imperium
damit dieser sie begutachten konnte.
»Den Typen vom Zoll möchte ich sehen, der da was merkt«, sagte Cactus zuversichtlich.
»Die sehen ja echter aus als vorher.«
»Ich hab sie frisiert, das heißt, ich hab ein paar Kniffe und Falten dazu gemacht und sie etwas gealtert.«
»Großartige Arbeit, alter Freund. Was bin ich Ihnen schuldig?«
»Ach, zum Teufel, das weiß ich nicht. War ja nur wenig zu tun, und das ganze Jahr hat mir schon so viel eingebracht, mit all den Schikanen …«
»Wie viel , Cactus?«
»Was wäre Ihnen denn recht? Ich stell mir vor, dass Uncle Sam diesmal die Rechnung nicht bezahlt.«
»Mir geht’s recht gut, vielen Dank.«
»Fünfhundert?«
»Rufen Sie mir ein Taxi, ja?«
»Das dauert viel zu lang, falls Sie hier draußen überhaupt eines kriegen. Mein Enkel wartet auf Sie, er bringt Sie hin, wo Sie wollen. Er ist wie ich, er stellt keine Fragen. Und Sie haben es eilig, David, das spüre ich. Kommen Sie, ich bring Sie zur Tür.«
»Danke. Ich leg das Geld auf den Tisch.«
»Schon recht.«
Webb drehte Cactus den Rücken zu und zählte sechs Fünfhundert-Dollar-Noten ab, die er an der dunkelsten Stelle der Studiotheke ablegte. Für tausend Dollar das Stück waren die Pässe immer noch geschenkt, aber mit mehr Geld hätte er vielleicht seinen alten Freund beleidigt.
Er kehrte zum Hotel zurück und stieg ein paar Straßen davon entfernt aus, damit Cactus’ Enkel ohne zu lügen sagen konnte, er kenne die Adresse nicht, falls er gefragt werden sollte. Der junge Mann war Student und bewunderte zwar seinen Großvater sehr, fühlte sich aber ganz offensichtlich nicht besonders wohl dabei, in die Aktivitäten des alten Mannes hineingezogen zu werden.
»Ich steige hier aus«, sagte David, als der Verkehr zum Stocken kam.
»Danke«, erwiderte der junge Neger mit angenehm ruhiger
Stimme. Seine intelligent blickenden Augen ließen die Erleichterung erkennen, die er empfand. »Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
Webb sah ihn an. »Warum haben Sie das gemacht? Ich meine, nachdem Sie einmal Rechtsanwalt werden wollen, könnte ich mir vorstellen, dass Ihre Antennen Überstunden machen, wenn Sie Cactus auch nur in die Nähe kommen.«
»Genauso ist es auch. Aber er ist ein feiner Kerl und hat schon sehr viel für mich getan. Und dann hat er noch etwas zu mir gesagt. Er sagte, es sei eine Ehre für mich, Sie kennen zu lernen, und er werde mir in ein paar Jahren vielleicht einmal erzählen, wer der Fremde in meinem Wagen war.«
»Ich hoffe, ich werde sehr viel früher zurückkommen und es Ihnen selbst erzählen können. Eine Ehre ist das zwar nicht, aber es könnte dann eine Geschichte geben, die im Jurastudium behandelt wird. Wiedersehn.«
Als er wieder in seinem Hotelzimmer war, sah sich David einer letzten Liste gegenüber, die er nicht niederzuschreiben brauchte; diesmal wusste er alles auswendig. Er musste die paar Kleidungsstücke aussuchen, die er in die Flugtasche packen würde, und den Rest seiner Besitztümer loswerden, darunter auch die zwei Waffen, die er in seinem Zorn aus Maine mitgebracht hatte. Es war eine Sache, eine Waffe auseinander zu nehmen, in Folie zu verpacken und sie in einen Koffer zu legen, eine völlig andere, Waffen durch eine Sicherheitskontrolle zu tragen. Sie würden auffallen – und dann würde man ihn festnehmen. Er musste sie sauber wischen, die Zündnadeln und die Abzugsgehäuse vernichten und sie in einen Abflussschacht werfen. Er würde sich in Hongkong eine Waffe kaufen; das dürfte keine Schwierigkeiten bereiten.
Dann gab es noch eines zu erledigen, und das war schwierig und schmerzlich. Er musste sich dazu zwingen, sich hinzusetzen und noch einmal alles zu durchdenken, was Edward McAllister an jenem Abend in Maine gesagt hatte – alles, was sie gesagt hatten, ganz besonders Maries Worte. Irgendetwas war in dieser Stunde der Enthüllungen
und der Konfrontation verborgen, und David wusste, dass es ihm entgangen war – dass er es immer noch nicht erkannt hatte.
Er sah auf die Uhr. Es war 15.37 Uhr; der Tag verstrich schnell, viel zu schnell. Aber er musste durchhalten ! O Gott! Marie! Wo bist du?
Conklin stellte das Glas mit schal gewordenem Ginger Ale auf die zerkratzte, schmutzige Bar des heruntergekommenen Lokals an der 9. Straße. Er war hier Stammgast, aus dem einfachen Grund, dass niemand, mit dem er beruflich zu tun hatte – und private Freunde hatte er kaum noch –, je durch diese schmutzige Glastüre treten würde. Dieses Wissen
Weitere Kostenlose Bücher