Das Bourne Ultimatum
Untersuchungsspezialisten können oft den Mund nicht halten, weil sie ihre Frustrationen loswerden oder einen Zuhörer beeindrucken wollen. Und so hatte DeSole von einem dickköpfigen, unbequemen Patienten mit Amnesie erfahren, der ›Davey‹ und manchmal knapp und feindselig einfach ›Webb‹ genannt wurde. Er sei ein ehemaliges
Mitglied von Saigons schrecklicher Medusa, ein Mann, den man verdächtigte, seinen Gedächtnisverlust nur vorzutäuschen... Gedächtnisverlust? Alex Conklin hatte ihnen gesagt, dass der Medusa-Mann, den sie auf Carlos, den Schakal, angesetzt hatten, Jason Bourne genannt wurde und sein Gedächtnis verloren hatte! Sein Gedächtnis und beinahe auch sein Leben, weil seine Kontrollmänner die Sache mit der Amnesie nicht geglaubt hatten! Das war ›Davey‹... David. David Webb war Conklins Jason Bourne. Wie konnte es anders sein?
David Webb. Und er war in Norman Swaynes Haus in jener Nacht, als der CIA gemeldet wurde, dass der gehörnte Swayne sich das Leben genommen hatte. Ein Selbstmord, der nicht in den Papieren auftauchte, aus Gründen, die DeSole nicht richtig verstanden hatte. David Webb. Die alte Medusa. Jason Bourne. Conklin. Warum?
Zwei Scheinwerfer durchbrachen die Dunkelheit am anderen Ende des Parkplatzes, schwenkten in einem Halbkreis auf DeSole zu. Sie blendeten ihn, und er schloss die Augen. Er musste diesen Männern klarmachen, was er herausgefunden hatte. Sie waren der Schlüssel zu einem Leben, von dem er und seine Frau immer geträumt hatten. Geld. Nicht ein Beamtengehalt, sondern wirkliches Geld. Die besten Universitäten für die Enkelkinder - nicht die lausigen staatlichen und nicht mit erbettelten Stipendien. Er fand, er hatte es verdient, denn er war besser als all die anderen um ihn herum. Sein Beamtengehalt war eine Schande. DeSole, stumm wie ein Grab. So sagte man. Aber zahlen wollten sie nicht für seine Zuverlässigkeit, für seine Erfahrung. Eines Tages würde Washington lernen, aber den Tag würde er nicht mehr erleben. Und deshalb hatten die sechs Enkelkinder ihm die Entscheidung abgenommen. Er hatte sich aus Bitterkeit der neuen Medusa angeschlossen, und sie hatte ihm großzügig unter die Arme gegriffen.
Er rechtfertigte sich damit, dass er nicht unmoralischer sei als all die Pentagon-Leute, die Arlington verließen, um sich in die korporativen Arme der Waffenindustrie zu werfen. Ein Oberst der Armee hatte das ihm gegenüber einmal so ausgedrückt
: »Jetzt arbeitet man, und bezahlt wird man später.« Und Gott wusste, dass Steven DeSole verdammt hart für sein Land gearbeitet hatte. Und doch hasste er den Namen Medusa und benutzte ihn, wenn überhaupt, nur selten. Die großen Erdölgesellschaften und Eisenbahnen gingen zwar auf die Machenschaften und die Korruption einiger Räuber-Barone zurück, aber heute war ihnen ihre Herkunft nicht mehr anzusehen. Medusa mochte im kriegsgezeichneten Saigon entstanden sein, die ersten Gelder mochten aus schmutzigen Quellen geflossen sein, aber diese Medusa existierte nicht mehr. An ihre Stelle waren Dutzende verschiedener Namen und Gesellschaften getreten.
»Wir sind keine Engel, Mr. DeSole, aber das sind die amerikanisch kontrollierten multinationalen Konzerne doch alle nicht«, sagte sein Werber. »Und es stimmt, dass wir das suchen, was man einen wirtschaftlichen Vorteil durch privilegierte Informationen nennen könnte. Geheimnisse, wenn Sie so wollen. Manche sagen, das sei unfair. Aber wir müssen es einfach tun, weil unsere Konkurrenten in Europa und dem Fernen Osten mit denselben Methoden arbeiten. Der Unterschied ist nur, dass die Regierungen dort solche Anstrengungen unterstützen - unsere tut das nicht... Handel, Mr. DeSole, Handel und Profit. Das sind die gesündesten Beschäftigungen auf Erden. Chrysler mag vielleicht Toyota nicht, aber der kluge Mr. Iacocca ruft nicht nach einem Luftangriff gegen Toyota. Zumindest noch nicht. Er findet Mittel und Wege, mit den Japanern gemeinsame Sache zu machen.«
Ja, dachte DeSole, als die Limousine drei Meter vor ihm zum Halten kam. Was er für die ›Korporation‹ leistete, wie er sie gerne nannte, konnte man sogar wohltätig nennen, im Gegensatz zu dem, was er für die CIA tat. Profite sind schließlich wünschenswerter als Bomben... und seine Enkelkinder konnten auf die besten Schulen und Universitäten des Landes gehen. Zwei Männer stiegen aus der Limousine und kamen auf ihn zu.
»Wie sieht denn dieser Webb aus?«, fragte Albert Armbruster, Vorsitzender der
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