Das Bourne-Vermächtnis
wahr.« Ihre Augen funkelten. »Ihretwegen ist mein Vater tot!«
»Wer stellt hier absurde Behauptungen auf?« Er schüttelte den Kopf. »Ihr Vater ist wegen einer Sache ermordet worden, in die er gemeinsam mit Alex Conklin verwickelt war. Wegen dieser Sache ist Alex in seinem Haus erschossen worden, und deshalb bin ich hier.«
Sie schnaubte verächtlich. Bourne verstand die Ursachen ihrer Sprödigkeit. Sie war – vielleicht von ihrem Vater – auf ein von Männern beherrschtes Schlachtfeld getrieben worden und befand sich jetzt mehr oder weniger im Krieg. Zumindest nahm sie eine höchst defensive Haltung ein.
»Wollen Sie nicht herausbekommen, wer Ihren Vater ermordet hat?«
»Offen gesagt, nein.« Ihre zur Faust geballte Rechte war in die Hüfte gestemmt. »Ich will ihn begraben und vergessen, dass ich je von Alex Conklin und Dr. Felix Schiffer gehört habe.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Kennen Sie mich, Mr. Bourne? Wissen Sie irgendwas über mich?« Sie hielt den Kopf leicht schief, während ihre klaren Augen ihn prüfend musterten. »Das glaube ich nicht. Sie tappen völlig im Dunkeln. Deshalb sind Sie hergekommen und haben sich als Alexej ausgegeben. Eine dämliche List, auf den ersten Blick zu durchschauen.
Und nachdem wegen Ihrer Ungeschicklichkeit Blut geflossen ist, halten Sie’s für Ihre Pflicht, festzustellen, was Alexej und mein Vater planten.«
»Kennen Sie mich, Annaka?«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, als sie einen Schritt näher an ihn herantrat. »O ja, Mr. Bourne, ich kenne Sie gut. Ich habe Männer ihrer Art kommen und gehen gesehen – jeder in den letzten Augenblicken, bevor er niedergeschossen wird, von dem Glauben erfüllt, er sei cleverer als seine Vorgänger.«
»Wer bin ich also?«
»Denken Sie, dass ich mich nicht traue, Ihnen das zu sagen? Mr. Bourne, ich weiß genau, wer Sie sind. Sie gleichen einer Katze mit einem Wollknäuel. Sie sind erpicht darauf, das Knäuel zu entwirren, koste es, was es wolle. Für Sie ist dies nur ein Spiel – ein Rätsel, das gelöst werden muss. Alles andere ist unwichtig. Sie werden durch eben das Rätsel definiert, das Sie zu lösen versuchen. Sonst wären Sie gar nicht existent.«
»Sie täuschen sich.«
»O nein, das tue ich nicht.« Das spöttische Lächeln wurde breiter. »Deshalb können Sie nicht begreifen, dass ich diese Sache hinter mir lassen will. Sie begreifen nicht, warum ich nicht mit Ihnen zusammenarbeiten und Ihnen nicht helfen will, den Mörder meines Vaters zu finden. Wozu auch? Würde ihn das wieder lebendig machen? Er ist tot , Mr. Bourne. Er denkt, er atmet nicht mehr. Er ist nur noch ein Leichnam, der darauf wartet, dass die Zeit beendet, was sie begonnen hat.«
Sie wandte sich ab und wollte gehen.
»Annaka …«
»Lassen Sie mich in Ruhe, Mr. Bourne. Was immer
Sie zu sagen haben, es interessiert mich nicht.«
Er lief ihr nach, holte sie ein. »Wie können Sie das behaupten? Sechs Männer haben ihr Leben gelassen, weil …«
Sie bedachte ihn mit einem wehmütigen Blick, und er merkte, dass sie dicht davor war, in Tränen auszubrechen. »Ich habe meinen Vater gebeten, sich aus dieser Sache rauszuhalten, aber Sie wissen schon … alte Freunde, der Reiz des Geheimen, weiß der Teufel, was es war.
Ich habe ihn gewarnt, alles würde ein schlimmes Ende nehmen, aber er hat nur gelacht – ja, gelacht – und gesagt, Frauen verstünden nichts von solchen Dingen.
Nun, das hat mich in meine Schranken gewiesen, nicht wahr?«
»Annaka, nach mir wird wegen eines Doppelmordes
gefahndet, den ich nicht begangen habe. Meine beiden besten Freunde sind erschossen worden, und ich gelte als Hauptverdächtiger. Können Sie nicht begreifen, dass …«
»Jesus, haben Sie denn kein Wort von dem gehört,
was ich gesagt habe? Ist alles bei einem Ohr hinein- und beim anderen hinausgegangen?«
»Allein kann ich’s nicht schaffen, Annaka. Sie müssen mir helfen. Ich kann mich an sonst niemanden wenden.
Mein Leben liegt buchstäblich in Ihren Händen. Bitte erzählen Sie mir von Dr. Felix Schiffer. Sagen Sie mir, was Sie über ihn wissen, und ich schwöre Ihnen, dass Sie mich nie wieder sehen werden.«
Sie wohnte im Haus 106–108 Fo utca in Víziváros, einem engen Stadtviertel mit Hügeln und steilen Treppen statt Straßen, das zwischen Festungsbezirk und Donau eingeklemmt war. Von ihrem nach vorn hinausführenden Erkerfenster aus konnte man den Bem tér sehen. Dort hatten sich im Jahr 1956 wenige
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