Das Bourne-Vermächtnis
hineinstürmen, aber er hielt sie zurück. Er zog seine Keramikpistole und stieß die Tür langsam auf. Dahinter brannte Licht, aber in dem Apartment war es totenstill. Als sie vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer, ins Bad und dann in die Küche gingen, fanden sie die gesamte Wohnung tadellos sauber und aufgeräumt vor. Nichts wies darauf hin, dass hier ein Kampf stattgefunden haben könnte, und von Molnar war keine Spur zu entdecken.
»Was mich stört«, sagte Bourne, als er seine Pistole wegsteckte, »sind die brennenden Lampen. Er kann nicht mit Dr. Schiffer zusammen sein.«
»Dann kommt er bestimmt bald zurück«, meinte Annaka. »Wir sollten auf ihn warten.«
Bourne nickte. Im Wohnzimmer griff er nach mehreren gerahmten Fotos, die im Bücherregal und auf dem Schreibtisch standen. »Ist das Molnar?«, fragte er Annaka und zeigte auf einen stämmigen Mann, der seine schwarze Mähne glatt zurückgekämmt trug.
»Ja, das ist er.« Sie sah sich um. »Meine Großeltern haben in diesem Haus gewohnt, und ich habe als Kind auf den Fluren gespielt. Die hier lebenden Kinder haben alle möglichen Verstecke gekannt.«
Bourne ließ seinen Zeigefinger über die Rücken der Hüllen altmodischer Langspielplatten gleiten, die neben der teuren Stereoanlage mit einem hochwertigen Plattenspieler standen. »Wie ich sehe, ist er nicht nur ein Hi-Fi-Fan, sondern auch ein Opernliebhaber.«
Annaka zog die Augenbrauen hoch. »Kein CD-Player?«
»Leute wie Molnar erzählen einem, dass digitale Aufnahmen niemals die Wärme und den Nuancenreichtum von Vinylplatten besitzen.«
Bourne wandte sich dem Schreibtisch zu, auf dem ein aufgeklapptes Notebook stand. Er sah, dass es mit der Steckdose und einem Modem verbunden war. Der Bildschirm war schwarz, aber als er das Gehäuse berührte, schien es leicht warm zu sein. Als er die Taste »Esc«
drückte, wurde der Bildschirm sofort hell; der Computer war nicht ausgeschaltet, sondern nur im Stromsparmodus gewesen.
Annaka war hinter ihn getreten und las vom Bildschirm ab: »Argentinisches hämorrhagisches Fieber, Kryptokokkose, Lungenpest, Milzbrand … Großer Gott, weshalb hat Molnar sich auf einer Webseite über die Wirkung tödlicher – wie werden sie gleich wieder genannt – Pathogene informiert?«
»Ich weiß nur, dass Dr. Schiffer Anfang und Ende dieses Rätsels sein muss«, sagte Bourne. »Alex Conklin hat mit ihm Verbindung aufgenommen, als er noch bei der DARPA war – das ist eine Forschungseinrichtung, die im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums modernste Waffen entwickelt. Binnen eines Jahres ist Dr. Schiffer zur CIA-Entwicklungsabteilung für nichttödliche taktische Waffen versetzt worden. Und kurz danach ist er ganz verschwunden. Ich habe keine Ahnung, was Conklin so sehr interessiert hat, dass er sich die Mühe gemacht hat, das Verteidigungsministerium gegen sich aufzubringen und einen prominenten Wissenschaftler aus einer CIA-Abteilung verschwinden zu lassen.«
»Vielleicht ist Dr. Schiffer ein Bakteriologe oder Epidemiologe.« Annaka fuhr zusammen. »Der Inhalt dieser Webseite ist beängstigend.«
Sie ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen, während Bourne im Web surfte, um vielleicht so herauszubekommen, weshalb Molnar diese Webseite besucht hatte. Als er nicht fündig wurde, öffnete er im Browser das Pull-down-Menü neben dem Adressfeld, um zu sehen, welche Seiten Molnar zuletzt aufgerufen hatte.
Er klickte die letzte Seite an, die Molnar besucht hatte.
Sie erwies sich als ein in Echtzeit stattfindendes wissenschaftliches Forum. Bourne rief die Archivfunktion auf und suchte rückwärts, um vielleicht dadurch festzustellen, wann Molnar an dem Forum teilgenommen und worüber er gesprochen hatte. Vor ungefähr 48 Stunden hatte László 1647M sich dort eingeloggt. Bourne, dessen Herz zu jagen begann, verbrachte mehrere Minuten damit, den Dialog Molnars mit einem anderen Mitglied des Forums zu lesen.
»Annaka, sehen Sie sich das an!«, rief er. »Dr. Schiffer ist offenbar weder Bakteriologe noch Epidemiologe, sondern Experte für das Teilungsverhalten von Bakterien.«
»Mr. Bourne, Sie sollten herkommen«, sagte Annaka mit gepresster Stimme. »Sofort!«
Der Klang ihrer Stimme ließ ihn in die Küche hasten.
Annaka stand wie gelähmt am Ausguss. Die Hand mit einem Glas Wasser war auf halbem Weg zu ihren Lippen erstarrt. Sie war blass, und als sie Bourne sah, fuhr sie sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen.
»Was gibt’s?«
Sie deutete
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