Das Bourne-Vermächtnis
an.«
»Gentlemen, Gentlemen!« Fahd al-Sa’ud trat zwischen die Streithähne. »Erklären Sie mir bitte, wie dieser kindische Streit uns hilft, die Aufgaben zu bewältigen, die vor uns liegen.« Seine Stimme klang ruhig und gelassen, während er von einem zum anderen sah. »Jeder von uns dient seinem jeweiligen Staatsoberhaupt unbeirrbar loyal.
Habe ich Recht? Dann sind wir verpflichtet, ihnen nach besten Kräften zu dienen.« Er ließ nicht locker, bis ihm beide widerstrebend beipflichteten.
Karpow nahm wieder Platz, behielt aber die Arme vor der Brust verschränkt. Hull stellte seinen Stuhl auf, rückte ihn an den Tisch und warf sich mit verdrießlicher Miene darauf.
»Wir mögen uns vielleicht nicht, aber wir müssen lernen, zusammenzuarbeiten«, sagte Fahd al-Sa’ud und beobachtete sie dabei aufmerksam.
Hull war vage bewusst, dass Karpow außer seiner aggressiven Halsstarrigkeit noch einen Wesenzug hatte, der ihn aufbrachte. Er brauchte einen Augenblick, um die Ursache dafür zu erkennen, aber bei näherer Überlegung wurde sie ihm klar. Irgendwas an Karpow – sein unerschütterliches Selbstbewusstsein – erinnerte ihn an David Webb oder Jason Bourne, wie alle CIA-Mitarbeiter ihn auf Befehl des Alten nennen mussten. Trotz allem Aktionismus und aller Lobbyarbeit Hulls zu seinen eigenen Gunsten war Bourne immer Alex Conklins Liebling
geblieben, bis Hull schließlich aufgegeben hatte und ins Zentrum für Terrorismusbekämpfung übergewechselt
war. Dort hatte er Karriere gemacht, kein Zweifel, aber er konnte es nie verwinden, um welche Position Bourne ihn gebracht hatte. Conklin war eine Legende innerhalb der Agency gewesen. Mit ihm zusammenzuarbeiten war Hulls Traum gewesen, seit er vor zwanzig Jahren zur CIA gegangen war. Es gab Träume, die man als Kind hatte; von diesen konnte man sich später leicht trennen. Aber die Träume eines Erwachsenen … nun, die waren etwas ganz anderes. Die Verbitterung wegen unerfüllter Träume ließ sich nicht überwinden, zumindest nicht nach Hulls Erfahrung.
Er hatte tatsächlich gefeiert, als der Direktor ihm mitgeteilt hatte, Bourne könnte nach Reykjavik unterwegs sein. Die Vorstellung, Bourne habe seinen alten Mentor ermordet und sei zu einem bösartigen Einzelgänger geworden, hatte sein Blut in Wallung gebracht. Hätte Conklin sich bloß für Jamie Hull entschieden, dachte er, dann wäre er noch am Leben. Der Gedanke, er könnte derjenige sein, der Bourne im Auftrag der Agency liquidierte, war ihm als wahr gewordener Traum erschienen.
Aber dann hatte er die Nachricht von Bournes Unfalltod erhalten, und seine Hochstimmung hatte sich in Niedergeschlagenheit verwandelt. Hull war zunehmend reizbar geworden – auch im Umgang mit den Secret-Service-Agenten, mit denen er offen und vertrauensvoll hätte zusammenarbeiten müssen. Da es für ihn nun keinerlei Erfüllung gab, bedachte er Karpow mit einem mörderischen Blick, der nicht minder grimmig erwidert wurde.
Bourne fuhr nicht mit dem Aufzug nach unten, als er Annakas Wohnung verließ. Stattdessen ging er die kurze Betontreppe zum Dach hinauf. Oben war die Tür mit einer Alarmanlage gesichert, die er leicht und schnell überwand.
Die Sonne hatte den Nachmittag schiefergrauen Wolken und einem böigen frischen Wind überlassen. Ein Blick nach Süden zeigte Bourne die vier prächtigen Kuppeln der Kiraly-Bäder. Er trat an die Dachbrüstung und lehnte sich an ungefähr der Stelle hinüber, an der Chan vor weniger als einer Stunde gestanden hatte.
Von diesem Aussichtspunkt aus suchte er die Straße ab, erst nach jemandem, der in einem dunklen Hauseingang stand, dann nach Fußgängern, die zu langsam gingen oder ganz stehen blieben. Er beobachtete zwei junge Frauen, die eingehakt vorbeispazierten, eine Mutter mit Kinderwagen und einen alten Mann, den er genauer betrachtete, weil er sich an Chans chamäleonartige Wandelbarkeit erinnerte.
Als er nichts Verdächtiges fand, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die unten geparkten Autos und hielt Ausschau nach etwas Ungewöhnlichem. Alle ungarischen Leihwagen mussten einen Aufkleber tragen, der sie als solche auswies. In diesem Wohnviertel war ein Leihwagen etwas, für das er sich würde interessieren müssen.
Er entdeckte einen schwarzen Skoda, der schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite stand, und begutachtete seine Position. Am Steuer sitzend musste man den Eingang des Gebäudes 106–108 Fo utca ungehindert beobachten können. Im Augenblick saß jedoch
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