Das Bourne-Vermächtnis
beschützen.
Über Chan war eine bedrohliche Stille gekommen, als bereite er sich darauf vor, etwas zu tun, das schreckliche Folgen haben konnte. »Warum hast du mich nicht selbst gesucht?«
Bourne hörte seinen anklagenden Tonfall und saß da wie vor den Kopf geschlagen. Das Blut drohte ihm in den Adern zu gefrieren. Seit ihm klar geworden war, dass Chan Joshua sein könnte, hatte auch er sich diese Frage gestellt.
»Ich war halb wahnsinnig vor Kummer und Schmerz«, sagte er, »aber das reicht nachträglich nicht als Entschuldigung. Ich konnte mir nicht eingestehen, dass ich euch allen gegenüber als Familienvater versagt hatte.«
Chans Gesichtsausdruck veränderte sich leicht, als durchzucke ihn ein schmerzlicher Gedanke. »Du musst …
Schwierigkeiten gehabt haben, als du mit meiner Mutter in Phnom Penh gelebt hast.«
»Wie meinst du das?« Bourne beunruhigten Chans
Worte, und er sprach in einem Tonfall, der vielleicht schärfer war als angebracht.
»Das weißt du. Haben deine Kollegen nicht über dich gelästert, weil du eine Thai geheiratet hattest?«
»Ich habe Dao von ganzem Herzen geliebt.«
»Marie ist keine Thai, stimmt’s?«
»Chan, wir suchen es uns nicht aus, in wen wir uns verlieben.«
Nun folgte eine kurze Pause, dann sagte Chan in der zwischen ihnen herrschenden gespannten Stille lässig, als sei ihm dieser Gedanke nachträglich gekommen: »Und dann war da natürlich das Problem mit deinen beiden Mischlingskindern.«
»So habe ich’s nie gesehen«, sagte Bourne ausdruckslos. Das Herz wollte ihm brechen, denn er hörte den stummen Aufschrei unter all diesen Fragen. »Ich habe Dao geliebt, ich habe Alyssa und dich geliebt. Mein Gott, ihr wart mein Leben! In den Wochen und Monaten danach habe ich fast den Verstand verloren. Ich war am Boden zerstört, wusste nicht, ob ich weiterleben wollte. Wäre ich Alex Conklin nicht begegnet, hätte ich vielleicht Schluss gemacht. Und auch dann hat es jahrelange Schwerarbeit gekostet, wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen.«
Er verstummte sekundenlang, hörte sie beide schwer atmen. Dann holte er tief Luft und sagte: »Ich habe immer geglaubt, immer mit der Tatsache gekämpft, dass ich hätte da sein sollen, um euch zu beschützen.«
Chan betrachtete ihn lange, aber die Spannung hatte sich gelöst, ein Rubikon war nun überschritten. »Du hättest nichts tun können, du wärst auch umgekommen.«
Er wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, und während er das tat, sah Bourne Dao in seinen Augen und wusste, dass seine Welt sich tief greifend verändert hatte.
Kapitel achtundzwanzig
Wie in fast jeder Großstadt der Welt gab es auch in Reykjavik jede Menge Schnellimbisse, und wie die besseren Restaurants bekamen auch diese kleinen Betriebe jeden Tag frisches Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse geliefert.
Die Firma Hafnarfjördur Obst & Gemüse gehörte zu den wichtigsten Lieferanten der Schnellgastronomie in Reykjavik. Der Wagen der Firma, der früh an diesem Morgen vor dem Kebab Höllin im Stadtzentrum vorfuhr, um Blattsalat, Perlzwiebeln und Schalotten zu liefern, gehörte zu den vielen, die auf ihren täglichen Runden in der ganzen Stadt unterwegs waren. Der entscheidende Unterschied war jedoch, dass dieser spezielle Lieferwagen im Gegensatz zu den anderen nicht von Hafnarfjördur Obst
& Gemüse geschickt worden war.
Am frühen Abend wurden alle drei Häuser der Universitätsklinik Landspitali von Leuten belagert, die zunehmend kränker wurden. Die Ärzte nahmen diese Patienten in beängstigender Zahl auf, noch während ihr Blut untersucht wurde. Zwei Stunden später stand dann fest, dass die Großstadt mit einem seuchenartigen Ausbruch von Hepatitis A konfrontiert war.
Die Gesundheitsbehörde unternahm hektische Anstrengungen, um der eskalierenden Krise Herr zu werden.
Ihre Arbeit wurde durch mehrere wichtige Faktoren behindert: die Schnelligkeit und Schwere des Befalls mit einem besonders ansteckenden Virustyp; die Schwierigkeiten, die es machte, die Lebensmittel zu ermitteln und aufzuspüren, durch die das Virus verbreitet worden sein konnte; und das unausgesprochene, aber stets gegenwärtige Bewusstsein, dass Reykjavik wegen des Terrorismusgipfels gegenwärtig im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit stand. Ganz oben auf der Liste mit verdächtigen Lebensmitteln standen Schalotten, die in letzter Zeit in den Vereinigten Staaten mehrmals Ausbrüche von Hepatitis A hervorgerufen hatten – aber Schalotten wurden in der hiesigen
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