Das Brandhaus - Roman
einem Fauchen und hoch erhobenem Schwanz verschwand die Katze Richtung Bibliothek.
Leutnerwall schenkte Kaffee aus der Silberkanne ein, die dieser Vivan - oder wie dieser Silberschmied immer geheißen haben mochte - gefertigt hatte. Neben jeder Tasse stand ein Cognacschwenker. Ohne lange zu fragen, goss der seit langem pensionierte Diplomat allen ein großes Glas ein.
»Bitte, meine Herren. Glauben Sie mir, das werden Sie brauchen«, sagte er.
Andersson fand, dass er übernächtigt und ausgezehrt wirkte. Zum ersten Mal sah Oscar Leutnerwall wirklich uralt aus.
»Zum Wohl, meine Herren. Auf die Wahrheit, die jetzt erzählt werden kann. Es ist so weit«, sagte Oscar Leutnerwall feierlich.
Sie hoben die Gläser und tranken sich zu. Andersson atmete erst das Aroma ein, bevor er nippte. Er trank selten Cognac, aber der Duft und der runde Geschmack verrieten ihm, dass das nicht die billigste Sorte war. Oscar Leutnerwall war wirklich ein Mann, für den das Beste gerade gut genug war. Andersson vertrat eher die Einstellung, dass sich das meiste trinken ließ, insbesondere wenn es gratis war.
Nachdem Oscar Leutnerwall sein Glas wieder abgestellt hatte, sagte er:
»Gestern rief mich ein alter Freund an, von dem ich seit 25 Jahren nichts mehr gehört hatte. Staffan Molander. Er erzählte, Sie hätten einen Zeugen aufgetan, der uns vor Calles Haus in diesem Sommer, also 1983, gesehen hätte...«
Er verstummte und griff erneut zu seinem Cognacschwenker. Mit einem bleichen Lächeln hob er sein Glas erneut und sagte:
»Ich muss Ihnen mein Kompliment machen. Es ist imponierend, so etwas nach so vielen Jahren noch herauszufinden. Man glaubt, dass die Zeit alle Spuren verwischt, aber die Wahrheit
ist, dass nichts verschwindet, solange noch jemand am Leben ist, der erzählen kann.«
Er nickte den Beamten zu und nippte an seinem Cognac. Dann räusperte er sich und sagte:
»Ich hatte eine schlaflose Nacht. Man könnte sagen, dass ich einen Kampf mit meinem Gewissen ausgetragen habe. Mir ist ein Ehrenwort heilig. Aber irgendwann muss die Wahrheit an den Tag kommen. Ich habe das Gefühl, dass dieser Augenblick jetzt gekommen ist. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, wie ich Ihnen die Sache erzählen soll. Aber es gibt nur eine Art. Nämlich von Anfang an.«
Komm endlich zur Sache, dachte Andersson.
»Astrid hat Ihnen ja erzählt, dass Calle und ich eher wie Brüder als wie Cousins aufgewachsen sind. Wir haben dieselben Schulen besucht, und unsere Familien verkehrten recht intensiv miteinander. Unsere Mütter waren Schwestern und standen sich sehr nahe, da sie keine anderen Geschwister hatten. Wie Sie wissen, beging Calles Vater Selbstmord, nachdem er Konkurs hatte anmelden müssen. Tante Vera und Calle zogen in das Haus am Korsvägen. Wenn wir uns treffen wollten, mussten wir nur wenige Minuten durch den Park gehen. Was ich gerne unterstreichen möchte, ist, dass Calle und ich uns von klein auf sehr gut kannten. Wie Sie wissen, haben wir beide in Uppsala Jura studiert. Er begann sein Studium wenige Semester nach mir. Wir gehörten einer Studentenclique an, die viel Spaß zusammen hatte. Ich pflegte viel Umgang mit meinen Kommilitonen und Calle mit den seinigen. Natürlich liefen wir uns recht oft über den Weg. Wir waren bei derselben Zimmerwirtin einquartiert. Ich wohnte allerdings im obersten Stockwerk und Calle im Erdgeschoss. Aber wie gesagt... wir gehörte derselben Clique an. Nach einer Weile fiel mir auf, dass Calle zu einem seiner Mitstudenten ein sehr vertrauliches Verhältnis hatte. Er hieß Sverker und war Sohn eines Bankiers. Einmal wollte ich ein Buch bei Calle abholen, das dieser mir leihen wollte. Ich brauchte es für eine Prüfung. Ich klopfte bei ihm an. Als niemand Herein rief, trat ich einfach ein. Calle und Sverker lagen nackt im Bett.«
Oscar Leutnerwall verstummte. Er bot vom Gebäck an und nahm sich selbst eine Trüffelpraline. Er spießte ein Stück davon mit der Gabel auf. Den Geschmack dieser Delikatesse schien er aber gar nicht wahrzunehmen, als er sie sich in den Mund schob.
»Angesichts der nicht sonderlich liberalen 30er Jahre wäre es wenig verwunderlich gewesen, wenn ich mit Entrüstung reagiert hätte. Ich war jedoch selbst nicht mehr ganz unschuldig. Bereits recht früh hatte ich mir eingestehen müssen, dass ich bisexuell bin, auch wenn ich das damals noch nicht so benennen konnte. Während der Studienjahre in Uppsala hatte ich häufig Gelegenheit, meine Sexualität zu erproben.
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