Das Brandhaus - Roman
nur vermisst gemeldet war, hatte die Kriminalpolizei mit dem »Fall Alexandra«, wie die Zeitungen getitelt hatten, nichts zu tun gehabt. Aber als der Fund einer Mädchenleiche aus Nötsund gemeldet wurde, hatte Irene in aller Eile zusammengesucht, was sie über die Ermittlungen in der Datenbank finden konnte. Während der Fahrt dorthin hatte sie Jonny Blom, der am Steuer saß, die Fakten laut vorgelesen.
Die vierzehnjährige Alexandra war seit fünf Tagen verschwunden. Laut ihren Eltern, die sie als etwas schüchtern beschrieben, war sie kein Ausreißertyp. Pferden galt ihre ganze Leidenschaft. In der Schule war sie ehrgeizig, ohne dass ihre
Mitschüler ihr das übel genommen hätten. Lehrer und Mitschüler hatten dieses Bild bestätigt.
Das Gesicht von Alexandra war am Wochenende auf den Titelseiten sämtlicher Abendzeitungen abgedruckt. Ihre Eltern waren wohlhabend, und anfangs hatte der Verdacht bestanden, es könnte sich um Kindesentführung handeln. Auf jeden Fall ging die Polizei von einem Verbrechen aus. Denn auch ein Mädchen, das sich einfach eine Weile aus dem Staub machen wollte, versuchte in der Regel zumindest ein paar Kleider und etwas Geld mitzunehmen. Das Einzige, was Alexandra Hallwiin am Vorabend des 1. Mai mitgenommen hatte, waren ihr Portemonnaie, das laut ihrer Mutter maximal 300 Kronen enthalten hatte, sowie ihre Monatskarte. Außer den Kleidern, die sie trug, einem Taschenschirm und ihrem Handy hatte sie nichts dabei.
Ihren Eltern hatte Alexandra gesagt, sie wolle ein paar Mitschüler im Brunnsparken treffen. Trotz des strömenden Regens an diesem Tag wollten sie sich den traditionellen Umzug der Studenten von der Technischen Universität Chalmers ansehen. Danach hatte sie geplant, nach Torslanda zurückzufahren und eine Freundin zu besuchen. Spätestens um Mitternacht wollte sie wieder zu Hause sein. Ihre Eltern waren auf eine Party bei guten Freunden eingeladen und hatten keine Zeit, sie mit dem Auto zu fahren. Alexandra sollte also den Bus in die Stadt nehmen. An der Haustür hatte sie ihren Eltern noch einmal zugewinkt und tschüss gesagt. Danach hatte sie niemand mehr lebend gesehen.
Der Busfahrer konnte sich nicht an sie erinnern. Der 18.05-Uhr-Bus war sehr voll gewesen. Auch der Fahrer des nächsten Busses hatte sie nicht gesehen. Viele junge Leute waren um diese Zeit in die Stadt gefahren, um sich den Umzug anzuschauen.
Tatsächlich war aber keiner ihrer Mitschüler mit ihr im Brunnsparken verabredet gewesen. Nicht einmal die beiden Mädchen, die als ihre besten Freundinnen galten, wussten, was sie an diesem Abend vorhatte. Als sie sich am Tag zuvor über ihre Pläne
für das Wochenende unterhielten, hatte Alexandra gesagt: »Ich will Prince für das Reitturnier am Sonntag trainieren.« Und da sie wussten, wie wichtig ihr das Pferd und die Turniere waren, hatten sie beide nicht weiter gefragt.
Deshalb konnte auch niemand mit Sicherheit sagen, ob das Mädchen wirklich mit dem Bus in die Stadt gefahren war. Als Alexandras Mutter nach Mitternacht besorgt versucht hatte, sie auf dem Handy zu erreichen, war dieses ausgeschaltet.
Von dem Augenblick an, an dem sie die Gartenpforte ihres Elternhauses hinter sich geschlossen hatte, schien Alexandra wie vom Erdboden verschluckt.
Jetzt war sie gefunden worden.
Ein spielender Labrador hatte sie aufgespürt. Der Hund war jung und freute sich natürlich unbändig, einen Spielgefährten gefunden zu haben, der sich so raffiniert versteckt hielt. Sekunden später registrierte seine empfindliche Nase einen seltsamen Geruch. Berauschend, durchdringend und beängstigend zugleich. Er begann immer aufgeregter zu bellen und näherte sich kreisend und geduckt dem interessanten Duft. Als ihn sein Herrchen zurückpfiff: »Elroy! Elroy, bei Fuß!«, schnappte er sich einen Stofffetzen, der auf der Erde lag und stolzierte mit seinem Fund im Maul auf sein Herrchen zu. Nach einem kurzen Kampf zwischen Hund und Mensch ließ Elroy schließlich von seiner Trophäe ab. Der Mann erschauderte: Er hielt einen zerfetzten blutigen String aus schwarzer Spitze in Händen. Auf dem winzigen dreieckigen Vorderteil stand »Sunday«. Das Wort war in eine Borte aus Rosenknospen eingestickt.
Die Leiche lag in eine Felsspalte verkeilt. Der Mörder hatte ein paar Steine und Zweige darübergeworfen, damit sie nicht so leicht zu entdecken sein würde.
»Die sommerlichen Mädchenmorde haben also bereits Anfang Mai begonnen. Und dann gleich zwei an einem Tag!«
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