Das Brandhaus - Roman
Männer betraf. Männer lächelte sie immer an und nahm sich Zeit für angeregte Gespräche mit ihnen. Alle Männer des Dezernates waren sehr von ihr eingenommen. Efva Thylqvist war eine hübsche Brünette Anfang vierzig mit kräftigem schulterlangem Haar. Sie war schlank, besaß aber trotzdem Rundungen an den richtigen Stellen. An ihr sah auch ein äußerst konservatives Kostüm noch gut aus, und die Blusen und Tops, mit denen sie ihre Kostümjacken kombinierte, waren in der Regel tief ausgeschnitten. Außerdem trug sie immer hohe Absätze. Irene vermutete, dass sie so ihre geringe Größe ausgleichen wollte. Sie selbst kam sich mit ihren 1,80 m ohne Schuhe plump vor, wenn sie neben ihrer zierlichen Chefin stand.
Sie waren etwa gleich alt, Irene vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Gerüchten zufolge war Efva Thylqvist zu Beginn ihrer polizeilichen Karriere verheiratet gewesen. Ihr Mann sei jedoch recht rasch von der Bildfläche verschwunden. Jedenfalls hatte sie keine Kinder. Auch von ein paar Beziehungen mit Vorgesetzten war die Rede, einige von ihnen angeblich verheiratet. Der Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte ließ sich natürlich nicht überprüfen. Wenn sie es positiv sehen wollte, dachte Irene, dass dies genau dem Gerede entsprach, gegen das jene Frauen zu kämpfen hatten, die die Männer auf der Karriereleiter überholten. Sie hielt es allerdings auch nicht für vollkommen ausgeschlossen, dass ein Körnchen Wahrheit daran war. Es lag auf der Hand, dass Kommissarin Thylqvist eine glänzende Karriere hingelegt hatte. Und Irene tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie wohl kaum bis zu ihrer Pensionierung im Dezernat für Gewaltverbrechen bleiben würde.
Nach etwa einem Monat hatte Irene erkennen müssen, dass sich ihre neue Chefin nicht sonderlich für ihre Ansichten interessierte. Die Kommissarin wandte sich selten persönlich an Irene, nicht einmal, wenn es um etwas Wichtiges ging. Meist schickte sie einfach eine Mail. Einmal hatte sich Irene vorsichtig erkundigt, warum sie ihr eigentlich immer Mails schickte. Mit einem kleinen Lächeln hatte Efva Thylqvist erwidert:
»Damit mir der weite Weg erspart bleibt.« Irenes Büro lag eben ganz hinten, weit vom Zentrum der Macht entfernt. So hatte Irene das jedoch früher nie erlebt. Im Gegenteil, Tommy und sie hatten die Lage ihres Zimmers immer als ideal empfunden. Sie hatten dort die nötige Ruhe für ihre Arbeit gehabt und um offen über alles zu reden.
Jetzt landeten vor allem Routineangelegenheiten auf Irenes Schreibtisch, und sie fühlte sich immer stärker zurückgesetzt. Ihr Selbstvertrauen hatte einen Knacks erhalten, das erkannte sie nun. Aber manchmal ging es auch aufwärts, wenn sie mal wieder an der operativen Arbeit teilnehmen durfte. Wie gestern, als die Sache mit dem toten Mädchen in Nötsund reingekommen war. Aber das hatte wohl hauptsächlich daran gelegen, dass außer Jonny und ihr niemand verfügbar gewesen war.
Ein anderer Grund, warum sich Irene einsam fühlte, war, dass Birgitta Moberg-Rauhala vom Dezernat beurlaubt war. Letzten Herbst hatte sie ihr Jurastudium aufgenommen. Sie musste noch mindestens ein Jahr weiterstudieren, anschlie ßend konnte sie sich um gehobene Positionen innerhalb der Polizei bewerben. Als sie vor etwa einem Monat rasch zusammen zu Mittag gegessen hatten, hatte Birgitta angedeutet, dass sie vielleicht noch länger studieren würde und dass sie überlege, ob sie nicht Anwältin oder Staatsanwältin werden sollte. Das Studium lief gut, und sie hatte Blut geleckt. Ihr Mann, Hannu Rauhala, arbeitete noch beim Dezernat und war laut Birgitta mit allem einverstanden. Ihr Sohn Timo war inzwischen fast fünf, und sie hatten entschieden, dass sie keine weiteren Kinder wollten. Die Trauer nach einer späten Fehlgeburt, die Birgitta vor einigen Jahren erlitten hatte, war einfach zu groß gewesen. Hannu hatte damals seinen Kollegen vom Dezernat nichts davon erzählt. Der eisig blonde Finne aus dem Tornedal hatte sich wie immer nichts anmerken lassen.
Irene war im Augenblick die einzige weibliche Inspektorin des Dezernats, und sie hegte den Verdacht, dass das Kommissarin Efva Thylqvist ausgezeichnet passte.
Gerade, als sie diesen Gedanke hatte, betrat die Kommissarin gefolgt von Tommy Persson das Besprechungszimmer.
»Guten Morgen allerseits. Sind alle mit Kaffee versorgt?«
Efva Thylqvist ließ ihren Blick über die Belegschaft schweifen und lächelte. Irene fiel auf, dass der Blick der Kommissarin rasch an ihr
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