Das brennende Gewand
zinnenbewehrten Dach des Turms an, wo Ivo vom Spiegel über das schimmernde Band des Rheins blickte. Kaum hörte er sie, kam er auch schon auf sie zu und herrschte sie an.
»Was habt Ihr getan, Begine?«
»Eine Dummheit. Wie üblich«, antwortete sie zerknirscht und dachte an die Mandelküchlein, die ihr Verderben gewesen waren.
»Ihr habt Euch zur Närrin gemacht.«
»Ja, vollends, Herr, und es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist. Ich hätte besser Acht geben müssen.«
»Ich hatte Euch geraten, Vorsicht walten zu lassen.«
»Ja, Herr, und ich wollte Euren Rat auch befolgen. Aber...«
Sie sah mutig zu ihm auf. Er trug einen graublauen Talar aus schwerer Seide, und plötzlich wandelte sie das schändliche Gefühl der Eitelkeit an. Viel zu deutlich wurde sie sich ihres grauen, an manchen Stellen geflickten Gewands bewusst, dessen Saum von den feuchten Gassen schmutzig geworden war. Das straffe Gebände versteckte ihre Haare und verhüllte ihre Wangen. Ihre Fingernägel waren rissig, und die schwarze Friedhofserde hatte auch das heiße Bad nicht ganz gelöst.
Beschämt senkte sie wieder den Kopf. Er war ein Patrizier, ein würdiger Herr. Jetzt mochte er sie so sehen, wie sie wirklich war.
»Begine?«
Der barsche Ton war verflogen.
»Ja.«
»Sie hat Euch ein Leid getan.«
»Es ist vorbei.«
»Nein, das ist es nicht. Schaut mich an.«
Zögernd blickte sie wieder hoch, und in den grauen Augen unter den schwarzen Brauen las sie Sorge.
»Der Päckelchesträger hat mir berichtet, man habe Euch in die Tollkammer gebracht. Da ich Euch bisher für ein Weib von überlegenem Verstand gehalten habe, konnte ich nicht glauben, dass Ihr ihn aus eigenem Willen verloren habt. Was also hat sie getan, um Euch in den Wahnsinn zu treiben?«
Er würde vor Zorn verglühen, fürchtete sie. Aber es hatte keinen Sinn, ihm die Tat zu verschweigen. Also wappnete sie sich, ihm standzuhalten, und berichtete so nüchtern wie möglich von ihrem nächtlichen Ausflug auf den Friedhof.
Ganz ruhig hörte er zu, mit keiner Bewegung verriet er seine Gefühle, doch seine Augen waren schwarz geworden.
»SohatsiediealtenWundengenutzt,umEuchSchmerzen zu bereiten. Sie ist von teuflischer Gewitztheit. Aber die Zeit wird kommen, und ich werde Vergeltung üben. Für alle Taten, besonders aber für diese«, versprach er leise und mit beherrschter Stimme.
»Sie ist fort.«
»Sie wird gefunden werden.«
Almut war dankbar dafür, dass er die Fassung bewahrte, und fügte mit etwas leichterem Mut hinzu: »Wir haben eine weitere kleine Spur entdeckt.«
»Wir eine größere, die zu Hoffnung Anlass gibt. Aber berichtet von der Euren.«
Almut zog das Pergament des Vergolders aus der Tasche.
»Es lag bei dem ersäuften Schlitzohr im Adler. Clara hat es entziffert. Nur...«
Auch er las die Worte, und seine Brauen zogen sich über der Nase zusammen.
»Ein Scherz, das.«
»Ich weiß es nicht. Er war ein Saufaus, der Thomas.«
»Er muss es unserem Bruder Braumeister entwendet haben. Von ihm stammen die Worte. Aber was wollte er damit?«
»Er wusste offensichtlich nicht, wie der Text zu deuten war, und vermutete etwas anderes dahinter, könnte ich mir vorstellen.«
»Das geheime Rezept. Natürlich. Es muss ihm etwas bedeutet haben.«
»Ein Geschenk? Wie sagt der Weise so trefflich: ›Viele schmeicheln den Vornehmen, und wer Geschenke gibt, hat alle zu Freunden?‹«
Ivo vom Spiegel wanderte dies bedenkend über den Söller und kehrte dann zu der Begine zurück.
»Oder es handelt sich um Ware, die für Geld zu verkaufen ist. Nur dass er in die falsche Lade gegriffen hat.« Ein kleines Fältchen zuckte in seinem Augenwinkel auf. »Wir werden uns einen Reim darauf machen. Das habt Ihr gut gelöst, Begine. ›Eine tüchtige Frau ist ihres Mannes Ehre.‹«
»Tatsächlich?«
Almut machte einen Schritt zurück, als er näher trat, und spürte den sonnenwarmen Stein der Zinne in ihrem Rücken.
»Ich meine mich erinnern zu können, Euch schon einmal gesagt zu haben, wie hässlich ich diesen Kopfputz finde, der Euer Haar bedeckt.«
Schon hatte er mit einer unerwartet kundigen Bewegung den Schleier gelöst und den steifen Leinenkranz von ihrem Scheitel genommen. Ihr langer Zopf, der von dem Tuch gehalten worden war, fiel ihr wie ein rotbrauner Seidenstrang über die Schulter.
»Herr?«
»Nein, die Flechte lasse ich Euch. Für heute.«
Seine Hand legte sich in ihren Nacken, und als sie in seine Augen sah, war die zornige Schwärze
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