Das brennende Gewand
dieselben scharfen Haken, wie es die derer vom Spiegel gewöhnlich taten, wenn sie eine erstaunte Missbilligung ausdrücken wollten. Beinahe hätte Almut gekichert. Stattdessen aber mahnte sie streng: »›Ein törichter Sohn ist seines Vaters Herzeleid!‹, wie uns der Weise lehrt.«
»Und ›eine zänkische Frau wie ein ständig triefendes Dach‹, Frau Almut. Auch ich habe die Lehren Salomos gehört und beherzige sie. Auch wenn ich ansonsten sicher nicht so bibelfest bin wie die frommen Beginen.«
Mit einem Zähneknirschen kam Almut zu dem Schluss, dass sie den Sohn seines Vaters bedauerlicherweise unterschätzt hatte.
»Vergebt, Ihr seid alles andere als töricht. Aber es gibt Gründe, warum ich Euch - sagen wir mal - nicht völlig freundlich gesinnt bin. Daher wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr meine Fragen aufrichtig beantwortet, damit meine Zweifel ausgeräumt werden.«
Höher als die rechte hob sich nun die linke Braue, was sie auf äußerste Missstimmung schließen ließ. Darum fuhr sie eilig fort, ihre Fragen zu stellen.
»Wie ich hörte, habt Ihr Euch mit meiner Schwester Aziza bereits getroffen.«
Die rechte Augenbraue hob sich nun fragend dazu, und wieder erstaunte Almut das so vertraute Mienenspiel, und ein Hauch Wehmut flog sie an. Leon de Lambrays mochte ein ausgesucht schöner Mann sein, eine Augenweide gar, aber viel lieber hätte sie das graubärtige Gesicht seines Vaters betrachtet.
»Vor einem Jahr, Herr de Lambrays, seid Ihr mir und meiner Stiefschwester in einer Taverne zu Hilfe gekommen. Zugegeben, damals befand ich mich auf Abwegen und trug weltlichen Putz. Aber wie ich...«
Beide Augenbrauen rückten an die ihnen von Gott gegebene Stelle zurück, und kleine, amüsierte Fältchen bildeten sich in den Augenwinkeln.
»Oh, ich erinnere mich. Die schöne Maurin - sie ist Eure Schwester? Ah - Familienbande sind eine eigentümliche Sache. Doch ich will auf Eure Frage gerne antworten, Frau Almut. Ich habe sie, seit ich in Köln bin, noch nicht getroffen. Was ich anfange zu bedauern. Aber ich kam erst nach den Osterfeiertagen hier an und hatte dann einige Angelegenheiten auf der anderen Seite des Rheines zu erledigen. In der Stadt weile ich erst seit drei Tagen wieder.«
»Danke, Herr de Lambrays. Nun gestattet mir noch eine Frage - seid Ihr auf Eurem Weg hierher über Nürnberg gereist?«
Ungespieltes Erstaunen zeigte sich in seinem Gesicht, aber er antwortete trocken: »Ihr werdet mir sicher erläutern, warum Ihr das wissen wollt. Denn Nürnberg liegt weitab von jeder Route, die ich nehme. In jener Stadt, die dem Vernehmen nach zwar als sehr geschäftstüchtig gilt, bin ich noch nie gewesen.«
»Und Flinderlein habt Ihr auch nicht der Wirtin vom Adler überlassen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ihr müsst das Geheimnis um meinen Doppelgänger allmählich lüften. Ich weiß nicht, was Flinderlein sind, noch kenne ich eine Adler- oder sonstige Geflügelwirtin.«
»Ihr erleichtert mein Herz, Leon de Lambrays. Ich habe erfahren, dass Ihr Euch mit Eurem Vater zerstritten habt, und befürchtete, dass Ihr hinter den Bübereien stecken könntet, die ihn in die Vernichtung treiben. Aber Ihr habt recht, es muss einen Mann geben, der Euch ähnlich sieht und der seinen Schaden wünscht.«
»Frau Almut, es stimmt, ich hatte einen lauten Zank mit meinem Vater und habe ihm vorgeworfen, nicht sorgsam genug über meinen kleinen Bruder gewacht zu haben. Aber zwölf Monate kühlen die Hitze ab, und bevor ich abreise, werde ich versuchen, mit ihm wieder Frieden zu schließen.«
»Ich hoffe, es ist Euch noch vergönnt. Er befindet sich in großen Schwierigkeiten.«
Alarmiert beugte Leon sich vor.
»Sprecht!«, forderte er beinahe so herrisch, wie es der Herr vom Spiegel gewöhnlich tat. Gehorsam befolgte Almut seinen Befehl. Anschließend blieb er eine Weile stumm und nachdenklich, dann sah er sie an.
»Erlaubt Ihr, dass auch ich Euch eine Frage stelle, Frau Almut?«
»Natürlich. Bevor die Widrigkeiten ihn zu diesen drastischen Maßnahmen greifen ließen, Leon de Lambrays, hegte ich die Hoffnung, dass Euer Vater mich mit einer gewissen - mhm - Zuneigung betrachtete.«
»Ihr last in meinen Gedanken?«
»Es war so schwer nicht.«
Er lächelte, und sie sah den bezaubernden Jungen in ihm, der er einmal gewesen war. Ihr Herz zog sich vor Sehnsucht zusammen.
»Meine Mutter, Frau Almut, hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie in jungen Jahren das Lager mit ihm geteilt hatte. Sie sprach immer mit großer
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