Das brennende Gewand
von Eurem Fleiß und Euren Kenntnissen. Heute Vormittag hat mir Frau Elsa gestattet, ihr bei der Zubereitung von Kräutersud und verschiedenen Tinkturen zu helfen. Was für eine kundige Frau. Sogar die gefährlichen Mittel kennt sie, doch sie geht vorsichtig mit Mohnsaft und Bilsenkraut um.«
»Gefährlich ist nur die Dosis, und manches Gift kann durchaus zur Arznei werden, wenn man es in geringer Menge verabreicht.«
»Ein faszinierendes Gebiet, das ich gerne mehr erforschen würde. Aber auch die Seidweberinnen beeindrucken mich zutiefst. Wie fein die Fäden sind, die sie auf ihren Rahmen spannen, und wie schnell und geschickt sie mit dem Weberschiffchen umgehen.« Sie lachte leise auf. »Noch bin ich nicht fern von jeder weltlichen Eitelkeit, Frau Almut. Die Stoffe, die sie herstellen, wecken Wünsche in mir.«
Almut lächelte leise.
»Ja, auch ich habe dann und wann solche Anwandlungen. Ihr wisst, wir Beginen sind nicht gezwungen, ausschließlich die graue Tracht zu tragen. Wenn die Meisterin es erlaubt, dürfen wir zu bestimmten Anlässen auch schöne Gewänder tragen, solange sie nicht übermäßig aufgeputzt sind. Nur, wie Ihr seht - für unsere Arbeit sind raue Kittel passender als seidene Surkots.«
Durch die freundschaftliche Unterhaltung flog die Zeit dahin, und die Arbeit ging ihnen zügig von der Hand. Als die Glocken die Non verkündeten, erhob sich Almut und betrachtete zufrieden den seidig schimmernden Boden. Der Edlen jedoch musste sie helfen, auf die Beine zu kommen, sie stöhnte ein wenig, dass ihr der Rücken wehtat.
»Lasst Euch von unserer Elsa eine Salbe einreiben, dann seid Ihr die Pein schnell los«, riet sie ihr und sammelte ihre Werkzeuge ein.
Nachdem Almut sich am Brunnen gewaschen und bei Gertrud ein paar süße Wecken und einen Krug Apfelwein erbettelt hatte, klopfte sie mit diesen Gaben in der Hand bei Clara an, die sie diesmal über ihren Büchern vorfand. Ihre Wangen waren leicht gerötet, was aber nicht auf Fieber, sondern auf Gelehrteneifer schließen ließ.
»Ich habe uns Stärkung mitgebracht.«
»Oh! Vier Wecken? Drei für dich, einer für mich?«
»Nein, nein, wir werden schwesterlich teilen.«
»›Besser ein Gericht Kraut mit Liebe, als ein gemästeter Ochse mit Hass.‹«
»Ach so, dann iss deinen einen Wecken mit Liebe, und ich mäste mich an den restlichen dreien. Du bist recht munter, Clara.«
»Der Ausschlag beginnt zu heilen, die Gliederschmerzen klingen ab, und ich habe herausgefunden, wer der Sohn des Harfenspielers ist.«
»Tatsächlich?«
»Es ist so entsetzlich simpel, Almut. Wirklich. Wenn man die Bibel kennt, liegt es geradezu auf der Hand. Wer spielt die Harfe zu all den Psalmen?«
»Oh - David natürlich. Der spielt nicht nur Harfe, der schleudert auch Steine. Verflixt, darauf hätte ich neulich schon kommen können!«
»Neulich - ach ja, Rigmundis, die von dem Siegespsalm sprach. Ich muss wirklich nicht ganz auf der Höhe gewesen sein.«
»Verständlich. Also, Davids Sohn warnt vor den Folgen.«
»Der weise Salomo ist Davids Sohn.«
»Ei wei, der hat aber vor Vielem gewarnt. Vor allem vor den Gottlosen.«
»Richtig, und deshalb ist es auch aufwändig, den Schlüssel zu finden. Ich suche alle Warnungen heraus und übergehe die Ratschläge, die Vergleiche und die seltenen Lobsprüche, mit denen der Weise uns ergötzt.«
»Eine Fleißarbeit. Ich bewundere dich, Clara. Du hast so viel Geduld.«
»Mir macht es Freude. Solche Rätsel liebe ich. Wenn es dir hilft, Almut, soll mir das Dank genug sein.« Sie lächelte. »Du hast ebenfalls sehr weise gehandelt, als du mich um die Entzifferung dieses Textes gebeten hast. Es hat meinen Geist beschäftigt. Aber dennoch habe ich viel Zeit zum Nachdenken gehabt.«
Sie nahm einen Schluck von dem Apfelwein und schaute versonnen drein.
»Weißt du, mein Vater war ein Schreiber und ein Dichter. Er hatte ungeheuer viel gelesen und fand es unterhaltsam, mich, seine einzige Tochter, in diese Kunst einzuführen. Ich habe Latein beinahe gleichzeitig mit Deutsch gelernt und konnte mit sechs Jahren lesen, mit sieben die Feder führen. Mit zehn fand er mich alt genug, Griechisch zu lernen, die fränkische Zunge flog mir irgendwann dann einfach zu. Die Bücher und Schriftrollen waren mir immer wichtiger als Tändeleien, und darum war es sicher ein Glück, dass ein Freund meines Vaters um mich anhielt. Karsil Vammerode war zehn Jahre älter als ich, und mit sechzehn wurde ich sein Weib.« Sie sah Almut offen an.
Weitere Kostenlose Bücher