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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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»Ich weiß, deine Ehe war nicht glücklich, meine war es. Der Ritter war ebenso wie mein Vater ein höchst gebildeter Mann, den meine Neigung zum geschriebenen Wort erfreute. Elf Jahre dauerte unser Glück, wenn uns auch keine Kinder beschert waren. Dann, anno 1366, brach die Hemmersbacher Fehde aus, und unsere Burg wurde belagert. Es war grauenvoll, Almut. Sie schossen drei Monate lang schwere Steinkugeln auf die Mauern, und mein Mann wurde verletzt. Es wurde geplündert und alle unsere Bücher gingen in Flammen auf. Letztlich zogen die Hemmersbacher ab, aber Karsil erlag seinen Wunden bald darauf, und ein hässlicher Erbschaftsstreit brach aus. Ich floh, bald von Sinnen vor Trauer und Angst, nach Köln. Hier nahm mich meine Tante auf, pflegte mich und stiftete mir schließlich die Mitgift für die Beginen. Allmählich fand ich in diesem Kreis wieder zu mir selbst, und Magda wusste es zu schätzen, dass ich mich mit den Schriften auskannte. Aber mir fehlten die vielen gelehrten Dispute, die ich mit meinem Gatten und seinen Freunden geführt hatte. Ihm zur Erinnerung begann ich, das Traktat zu schreiben, in dem ich die Auslegung der Kirche zu den biblischen Texten angriff. Das, was ich vernichtet habe. Mir war, als würde Karsil ein zweites Mal in meinen Armen sterben, Almut.«
    »Ich verstehe«, murmelte diese. »Ja, ich verstehe gut. Viel zu gut.«
    »Ich weiß. Und darum werde ich dir helfen, deinem Pater beizustehen. Erzähl mir, was du herausgefunden hast.«
    Dankbar nahm Almut die Einladung an, und als sie geendet hatte, fragte Clara nach: »Du vermutest also, dass jener schwarzhaarige Fremde mit diesem Thomas bekannt war? Wir sollten herausfinden, was die beiden verbunden hat.«
    »Flinderlein aus Nürnberg.«
    »So mag der Schwarzhaarige entweder dorther stammen, ihn dort getroffen haben oder mit diesem Flitterkram handeln.«
    »Oder seine Dienste als Vergolder zu seinen Zwecken eingefordert haben.«
    »Zu unlauteren Zwecken, weshalb ihm das Handwerk endgültig gelegt werden musste.«
    »Viele Spekulationen. Clara, viel zu viele. Vielleicht sehe ich anderntags klarer.«
    »Ich wollte morgen zu Sankt Laurenz gehen, um dort zu beten. Du weißt doch, der Heilige hilft bei brennenden Ausschlägen. Es kann nicht schaden, den himmlischen Beistand zu erflehen, wenn man wieder gesund werden will.«
    »Und gesund willst du nun wieder werden?«
    »Ja, Almut.«
    »Ich begleite dich.« Almut grinste. »Der Patron der Bibliothekare ist er auch, der heilige Laurentius.«
    »Und der Bierbrauer.«
    »Und der armen Seelen, weshalb auch ich bei ihm gut aufgehoben bin.«

21. Kapitel
    Die Sonne hatte wieder an Kraft gewonnen, und in den Weingärten zwischen den Häusern trieben die Rebstöcke in langen Ranken aus. Doch bald hatten Almut und Clara die Hofergasse hinter sich gelassen und näherten sich der gewaltigen Dombaustelle. Hier herrschte reger Betrieb, und die Beginen blieben stehen, um mit weit in den Nacken gelegten Köpfen wieder einmal die unglaubliche Kathedrale zu bestaunen. Es war ein ehrfurchtgebietendes Gebäude, schon heute, obwohl erst der Chor fertiggestellt und einer der Türme im Wachsen begriffen war. Wie steinernes Filigran erhoben sich die schlanken Strebpfeiler, wie exotische Gewächse rankten sich Blätter entlang der Simse, blühten Krabben und Fialen auf den Wimpergen, den Ziergiebeln. Was jedoch wie eine organisch gewachsene Wildnis wirkte, unterlag der strengsten Geometrie und bildete ein dem Auge gefälliges Bild. Almut seufzte beglückt auf. Ein solches Bauwerk musste die Seele erheben, wie niedergedrückt sie auch von Sorgen sein mochte.
    »Was für eine Vision«, flüsterte auch Clara. »Ich haderte mit der Kirche und mit ihren kleingeistigen, machtgierigen Vertretern. Aber es muss doch etwas Gutes und Großes daran sein, wenn der Glaube die Menschen zu solchen Leistungen bewegt.«
    »Die Gesetze der Harmonie sind gottgegeben, und so ist ihr in Stein gehauener Ausdruck der Anblick von Gottes Schöpfung in seiner Vollendung.«
    »Du wirst ja richtig philosophisch, Almut.«
    »Baukunst ist etwas Philosophisches.«
    »Wahre Schönheit, ganz allgemein, regt zur Philosophie an, denke ich.« Hörbar sog Clara den Atem ein. »Auch menschliche. Schau!«
    Almut kehrte von ihren Höhenflügen zur Erde zurück und folgte dem Blick ihrer Begleiterin. Eine Gruppe Männer stand vor dem Dom zusammen, und sie unterhielten sich mitten in dem Getöse der Maurer und Steinmetze, Ochsentreiber und Wasserträger.

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