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Das brennende Land

Das brennende Land

Titel: Das brennende Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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wollen die Zukunft erkennen. Wir starren in ihre Nebel und hoffen eine Landmarke zu finden, die unserem Schicksal einen Sinn gibt. Mein ganzes Leben habe ich versucht, die Vergangenheit zu verstehen, weil diese Vergangenheit so ruhmreich war und wir die Überreste dieses Ruhms überall in Britannien sehen. Wir sehen die großen Marmorpaläste, die von den Römern erbaut wurden, und wir reisen auf den Straßen, die sie angelegt haben, und überqueren Brücken, die sie errichtet haben, und all das geht unter. Der Marmor bekommt Sprünge, wenn es friert, und die Mauern stürzen ein. Alfred und seinesgleichen glaubten, sie würden die Zivilisation in eine gottlose, untergegangene Welt tragen, aber alles, was er tat, war, Verfügungen zu erlassen. So viele Verfügungen! Doch diese Gesetze waren nur eine Hoffnung. Die Wirklichkeit waren die Festungen, die Wälle, die Speere auf den Brustwehren, das Schimmern der Helme in der Morgendämmerung, die Angst vor bewaffneten Reitern, dumpfer Hufschlag und die Schreie der Opfer. Alfred sah mit Stolz auf seine Schulen und seine Klöster und seine reichen Kirchen, doch all das musste mit der Klinge verteidigt werden. Und was war Wessex schon im Vergleich zu Rom?
    Es ist schwierig, die Gedanken in eine Ordnung zu bringen, doch ich spüre, ich habe immer gespürt, dass wir vom Licht in die Dunkelheit gleiten, vom Ruhm in die Weltenverwirrung, und vielleicht ist das auch gut so. Meine Götter sagen uns, dass die Welt in einer großen Zerstörung enden wird, also leben wir vielleicht in ihren letzten Tagen und    überleben möglicherweise lange genug, um die Hügel aufbrechen und das Meer kochen und die Himmel brennen zu sehen, wenn die großen Götter gegeneinander kämpfen. Und im Angesicht dieses gewaltigen Untergangs baute Alfred Schulen! Seine Priester huschten umher wie die Mäuse in fauligem Stroh und zwangen uns ihre Regeln auf, als ob Gehorsam den Untergang aufhalten könnte. Du sollst nicht töten, predigten sie, und dann riefen sie uns Kriegern zu, die Heiden abzuschlachten. Du sollst nicht stehlen, predigten sie, und fälschten Urkunden, um ehrlichen Männern ihr Land zu nehmen. Du sollst nicht ehebrechen, predigten sie, und bestiegen anderer Männer Frauen wie rammelige Hasen im Frühling.
    Hinter alldem steht kein Sinn. Die Vergangenheit ist die Kielspur eines Schiffes in der grauen See, aber die Zukunft kennt keine Landmarke. «Worüber grübelst du so lange?», fragte Ragnar belustigt.
    «Dass Brida recht hat.»
    «Ich muss nach Wessex?»
    Ich nickte, aber ich wusste auch, dass er den Weg nicht gehen wollte, auf dem so viele gescheitert waren. Ich hatte bis zu diesem Moment mein gesamtes Leben auf die eine oder andere Weise damit verbracht, Wessex anzugreifen oder zu verteidigen. Warum Wessex? Was bedeutete mir Wessex? Es war die Bastion einer düsteren Religion in Britannien, es war ein Land der Gesetze, ein sächsisches Land, und ich verehrte die älteren Götter, die Götter, die von den Sachsen selbst angebetet worden waren, bevor die Missionare aus Rom mit ihrem neuen Unsinn kamen. Dennoch hatte ich für Wessex gekämpft. Ein ums andere Mal hatten die Dänen versucht, Wessex einzunehmen, und ein ums andere Mal hatte Uhtred von Bebbanburg den Westsachsen    geholfen. Ich hatte Ubba Lothbrokson am Meeresstrand getötet, ich hatte in dem Schildwall gebrüllt, der Guthrums große Armee zerschlug, und ich hatte Harald niedergeworfen. So viele Dänen hatten es versucht, und so viele waren gescheitert, und ich hatte ihr Scheitern befördert, weil das Schicksal bestimmt hatte, dass ich für die Seite der Priester kämpfen sollte. «Willst du König von Wessex sein?», fragte ich Ragnar.
    Er lachte. «Nein! Du?»
    «Ich will Herr von Bebbanburg sein.»
    «Und ich Will Herr von Dunholm sein.» Er hielt inne. «Aber ...»
    «Aber wenn wir sie nicht aufhalten», beendete ich den Satz für ihn, «dann werden sie auch hierherkommen.»
    «Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Sonst werden unsere Kinder zu Christen.»
    Ich verzog das Gesicht und dachte an meine eigenen Kinder, die in Æthelflæds Hausstand lebten. Sie würden vom Christentum erfahren. Vielleicht waren sie inzwischen schon getauft worden, und dieser Gedanke ließ Wut und Schuldgefühle in mir aufbranden. Hätte ich in Lundene bleiben und kleinmütig das Los in Kauf nehmen sollen, das Alfred für mich vorgesehen hatte? Doch Alfred hatte mich zuvor schon einmal gedemütigt und mich gezwungen, auf den Knien vor

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