Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Flotteneinheiten das globale britische Handelsnetz zu schützen, wobei die im Aufbau begriffenen Kriegsflotten der jungen Dominions in ihren jeweiligen Heimatgewässern eine regional begrenzte Rolle hätten übernehmen können. Nun aber orientierte man sich in London an der vor kurzem von dem amerikanischen Seeoffizier und Historiker Alfred Thayer Mahan in seinem Buch The Influence of Sea Power upon History (1890) entwickelten Theorie. Fortan galt es, durch Massierung der eigenen Seestreitkräfte in heimischen Gewässern stets in der Lage zu sein, die Flotte des möglichen (europäischen) Rivalen entscheidend zu schlagen und so die Vorherrschaft zur See zu sichern. Dementsprechend verabschiedete das Parlament unter der konservativen Regierung Lord Salisburys die Naval Defence Act von 1889, deren deklariertes Ziel es war, daß die Zahl der britischen Kriegsschiffe mindestens der der beiden nächst stärksten Seemächte zu entsprechen habe (‹two-power standard›) – eine Vorgabe, die einzulösen angesichts des forcierten Flottenbaus des deutschen Rivalen beträchtliche Anstrengungen erforderte. Zu diesem Zweck wurde für die kommenden fünf Jahre der für die damalige Zeit außerordentliche Betrag von 21,5 Mio. Pfund zusätzlich zum laufenden Flottenetat von ca. 15 Mio. bewilligt und ausschließlich für den Bau von Schlachtschiffen bereitgestellt.
Im Rahmen eines solchen gemeinsamen Verteidigungskonzepts für das Empire konnten die neu gesetzten Schwerpunkte für die Dominions nur bedeuten, daß sie, statt auf dem Ausbau einer eigenen Flotte zu bestehen, künftig finanzielle Beiträge zur Aufrüstung der britischen Königlichen Marine leisteten. Trotz eindringlicher Appelle stieß Chamberlain mit seinen Vorschlägen auf generelle Ablehnung bei den Premiers Australiens, Neuseelands und Kanadas, die nicht bereit waren, auch nur ein Iota der errungenen politischen Unabhängigkeit auf dem Altar einer gemeinsamen Strategie zu opfern.
Desgleichen war Chamberlains Vision, das Empire als eine durch gemeinsame Zölle gegenüber dem Rest der Welt abgeschirmte Freihandelszone zu organisieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Vielmehr gingen die Dominions gerade daran, ihre eigenen, im Aufbau begriffenen Industrien auch durch Zollschranken gegenüber Großbritannien abzuschirmen. Allenfalls konnten sie sich zu einer engeren wirtschaftlichen Bindung an das Mutterland in einem Verbundsystem gegenseitiger Präferenzzölle bereit finden. Dagegen formierte sich allerdings in England massiver Widerstand, und als Chamberlain 1903 mit seinem Programm für Schutzzölle (‹Tariff Reform›) an die Öffentlichkeit trat, spaltete er damit die Konservative Partei und schuf die Voraussetzung für deren katastrophale Niederlage bei den nächsten Parlamentswahlen. Denn für die Mehrzahl der britischen Wähler und vor allem auch für die Vertreter der Wirtschaft sowohl in England als auch in den Kolonien hatte das Prinzip des Freihandels mittlerweile den Rang einer sakrosankten Doktrin angenommen. Freihandel galt als die unumstrittene Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft und wachsenden Wohlstand; erst unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise von 1929 sollte hier ein Sinneswandel eintreten.
Obwohl gegen Ende des Jahrhunderts alle Versuche britischer Imperialisten scheiterten, die Organisationsstrukur des Empire zu straffen und stärker auf die Zentrale hin auszurichten, beeinträchtigten sie damit nicht die bestehenden Bindungen der Siedlungskolonien an das Mutterland. Auf der Ebene der pragmatischen Zusammenarbeit waren sogar Fortschritte zu verzeichnen. 1887 lud London erstmals Vertreter der ‹weißen› Siedlungskolonien zu einer gemeinsamen Konferenz ein (Colonial Conference), ebenso 1894 sowie drei Jahre später aus Anlaß des Diamond Jubilee Königin Viktorias. Seit 1907 hießen diese Zusammenkünfte ‹Reichskonferenzen› (Imperial Conferences), und sie sollten fortan alle vier Jahre stattfinden. Obwohl auf diesen Zusammenkünften die großen Pläne Chamberlains scheiterten, bildeten sie dennoch als Foren regelmäßiger gemeinsamer Konsultation – etwa das Netz für transatlantische Telegrafenkabel oder einen gemeinsamen Posttarif betreffend – ein wichtiges Bindeglied zwischen der Zentrale des Reiches und dessen Dominions.
Das Scheitern aller Bemühungen um eine Stärkung und Straffung der Organisation des Empire verhinderte zudem nicht, daß das Überseereich zur selben Zeit nochmals einen
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