Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
einzufärben, war Wirklichkeit geworden. Allerdings hat diese riesige Landbrücke niemals die von Rhodes in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können, denn sie hat weder in strategischer noch ökonomischer Hinsicht die erhoffte herausragende Bedeutung erreicht – und eine Kairo mit Kapstadt direkt verbindende Bahnlinie ist nie gebaut worden.
5. ENGLAND UND SEIN EMPIRE IM ZEITALTER DES IMPERIALISMUS
«Die Weltgeschichte kennt nichts Großartigeres als das Britische Empire»,[ 26 ] resümierte um die Jahrhundertwende mit selbstbewußtem Stolz Lord Curzon – Vizekönig von Indien von 1898 bis 1905. In der Tat befand sich Großbritannien in der Epoche zwischen dem Wiener Kongreß und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf dem Höhepunkt seiner Weltmachtstellung. Das überseeische Reich hatte zwar noch nicht seine größte Ausdehnung erreicht, aber England herrschte über ungefähr ein Viertel des Erdballs bzw., wie es die St. James Gazette 1901 im Stil der Zeit formulierte, über «einen Kontinent, hundert Halbinseln, fünfhundert Vorgebirge, tausend Seen, zweitausend Flüsse, zehntausend Inseln».[ 27 ]
Nach wie vor bildete die kleine Insel am Rande Europas mit ihren 41,5 Mio. Einwohnern das unumstrittene Zentrum dieses weltumspannenden Reiches mit seinen insgesamt 400 Mio. Untertanen. Entsprechend seiner Entstehungsgeschichte war dieses Empire ein riesiger Fleckenteppich unterschiedlicher über den gesamten Globus verteilter Herrschaftsgebiete, die von der Zentrale z.T. durch riesige Entfernungen getrennt waren. Im Jahr 1822 dauerte eine Schiffsreise von Leith in Schottland nach Hobart auf der kurz zuvor erworbenen Insel Tasmanien noch sechseinhalb Monate, und British Columbia an der Westküste des nordamerikanischen Kontinents war 1850 nur nach einer fünfmonatigen Fahrt um Kap Horn herum zu erreichen. Doch mit dem Siegeszug der Eisenbahn und der Dampfschiffahrt begannen die Entfernungen zu schrumpfen, so daß gegen Ende des Jahrhunderts die Reise von London nach Kapstadt, die fünfzig Jahre zuvor noch sechs Wochen in Anspruch genommen hatte, nun um mehr als die Hälfte verkürzt war. Hinzu kam, daß mit der Eröffnung des Suez-Kanals der Seeweg zwischen Plymouth in Südengland und Bombay von 10.450 Seemeilen auf 6000 reduziert war. Seit der Jahrhundertmitte eröffneten einzelne Schiffahrtsgesellschaften mit staatlicher Unterstützung einen regelmäßigen Linienverkehr von englischen Häfen nach Ost und West – bis hin nach Argentinien und China. In Übersee trug der Bau von Eisenbahnlinien in Kanada wie auch in Australien wesentlich zum Zusammenschluß der einzelnen Kolonien zu neuen Bundesstaaten bei. Seit 1885 verband die Canadian-Pacific Railway British Columbia mit der kanadischen Ostküste. In Australien hatte zuvor der Bau einer Eisenbahnlinie von Sidney aus neue Siedlungsgebiete jenseits der Blue Mountains erschlossen. Und in Indien wurde mit erheblichem technischem Aufwand ein ganzes Eisenbahnnetz errichtet, das Bombay, Delhi, Madras und Kalkutta miteinander verknüpfte. Noch stärker als die Dampfkraft ließ die Elektrizität die Entfernungen schrumpfen. 1866 stellte ein erstes Überseekabel die Verbindung zwischen Kanada und Irland her, und nach der Jahrhundertwende bildete London das Zentrum eines weltweiten, 121.000 Meilen umfassenden Nachrichtennetzes, mit dem, aus der Sicht enthusiastischer Zeitgenossen, das Empire neben den Verkehrsverbindungen, die seine Adern waren, nun auch ein neues hochempfindliches Nervensystem besaß.
Wenn so das Empire unter kommunikationstechnischen Gesichtspunkten kompakter wurde, bedeutete dies nicht, daß es auch auf dem Wege war, eine homogene politische Struktur anzunehmen. Nach wie vor blieb das Reich ein Konglomerat höchst unterschiedlicher Teile, die auf höchst unterschiedliche Art und Weise mit der Metropole verbunden waren. Allen Teilgebieten des Empire war lediglich gemeinsam, daß sie als Besitzungen der britischen Krone galten, die sie als ihr Oberhaupt anerkannten. «Im ganzen gesehen fehlte dem Empire der einheitliche Charakter und die einheitliche Funktion»,[ 28 ] wodurch es sich von den Kolonialreichen der übrigen europäischen Mächte unterschied. Nicht zuletzt diese heterogene Struktur mag dazu beigetragen haben, daß in Teilen der politischen Öffentlichkeit der Stolz auf das Empire durch des Gedankens Blässe angekränkelt und mit Zweifeln und Sorge um dessen Zukunft durchsetzt war.
Überhaupt wuchs im letzten Drittel des
Weitere Kostenlose Bücher