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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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zwischen Metropole und Peripherie. So herrschte auch im abhängigen Kolonialreich des Empire ein hohes Maß an zwar nicht staatsrechtlich definierbarer, wohl aber de facto wirksamer Autonomie. Denn die Kolonien regelten ihre inneren Angelegenheiten einschließlich der Finanzen weitgehend selbständig unter der allgemeinen Maßgabe der Zustimmung Londons, die lediglich dann verweigert wurde, wenn man grundsätzliche britische Interessen in Gefahr sah. Kolonialverwaltung fand statt, indem die britische Regierung bestimmte Vollmachten der Kolonie übertrug. Dies implizierte zwar keine demokratische Mitbestimmung der Beherrschten, wohl aber weitgehende Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Gouverneurs unter Einbeziehung der von ihm ernannten beratenden Gremien. Doch auch die Interessen der indigenen Bevölkerung fanden in gewisser Weise Berücksichtigung, denn selbst wo britische Beamte vor Ort die Verwaltung leiteten bzw. beaufsichtigten, waren sie auf ein Mindestmaß an Zustimmung seitens der Beherrschten und vor allem auf die Kooperation lokaler Honoratioren angewiesen.
    Dieser Konstellation entsprach das System der ‹indirekten Herrschaft› wie es wegweisend durch den Hochkommissar (1900–1906) und späteren Gouverneur (1912–1919) von Nigeria, Frederick Lugard, entwickelt und praktiziert und in seinem 1922 veröffentlichten Buch The Dual Mandate dann ausführlich erläutert wurde. Danach sollte die eigentliche Verwaltungstätigkeit überlieferten einheimischen Institutionen übertragen werden, d.h. vor allem den Stammeshäuptlingen, die einerseits weitgehend selbständig zu handeln befugt waren – etwa im Bereich der Finanzen und der Rechtsprechung –, die andererseits aber der Kontrolle einer starken kolonialen Zentralbehörde unterstanden. Damit wollte Lugard ein gewisses Gleichgewicht zwischen lokaler Autonomie und kolonialer britischer Autorität herstellen. Gleichzeitig sollte dieses System einer neuen Sichtweise des Verhältnisses von Europäern und außereuropäischen Völkern und Kulturen Rechnung tragen, die mit der Vorstellung aufgeräumt hatte, alle Nicht-Europäer müßten als kulturlose Barbaren voll und ganz der Zivilisation der Kolonialherren assimiliert werden. Statt dessen sollten, wo notwendig, die traditionellen Gewalten unter Anleitung und Aufsicht der kolonialen Zentralbehörde behutsame Reformen vornehmen, ohne damit die indigene Kultur verderblichen europäischen Einflüssen auszusetzen.
    Die Bedeutung der Lugardschen Theorie ist für die Praxis der kolonialen Herrschaft in Afrika in der Vergangenheit oft überschätzt worden; sie besteht in erster Linie darin, daß sie den britischen Zeitgenossen eine überzeugende Rechtfertigung ihres kolonialen Herrschaftsauftrags lieferte. Vor allem besaß das System der indirekten Herrschaft den unbestreitbaren Vorzug, daß die eingeborenen Behörden sich selbst finanzierten, so daß man auf den Aufbau eines britischen ‹African Civil Service› verzichten und sich mit der Funktion britischer ‹Berater› der Stammeshäuptlinge begnügen konnte. Da es für die britischen Regierungen stets das oberste Ziel der Politik war, die Steuerlast für ihre Wähler möglichst gering zu halten, galt für das Empire der Grundsatz, daß nach Möglichkeit nicht der britische Steuerzahler, sondern die unterworfenen Völker selbst die finanziellen Lasten der britischen Herrschaft zu tragen hätten. Wo Kolonien, wie etwa in Ostafrika, direkt verwaltet wurden, begnügte man sich, dem Beispiel Britisch-Indiens folgend, mit einem Minimum an personellem Aufwand; so kontrollierten gegen Ende des 19. Jahrhunderts im südlichen Uganda z.B. 25 Briten eine indigene Bevölkerung von drei Millionen. Und zur Zeit der größten Ausdehnung britischer Herrschaft in Afrika waren es am Vorabend des Zweiten Weltkrieges etwas mehr als 1200 Kolonialbeamte, die mehr als ein Dutzend Kolonien mit einer Gesamtfläche von fast zwei Mio. Quadratmeilen und einer geschätzten Bevölkerung von 43 Mio. verwalteten. Dabei fielen in Kenia, wo keine Voraussetzungen für den Aufbau einer indirekten Herrschaft existierten, ca. 19.000 Einwohner in die Zuständigkeit eines einzigen Distriktoffiziers, während es in Lugards Nigeria 54.000 waren.
    Durchweg präsent war Großbritannien allerdings in seinem Kolonialreich als Militärmacht, d.h. wenn und wo es galt, das Empire zu verteidigen bzw. im Empire die britische Vorherrschaft zu sichern. Davon zeugen die zahlreichen militärischen Einsätze im

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