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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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30er Jahren des 20. Jahrhunderts gingen einzelne Vertreter der englischen Oberschicht so weit, ihre Nostalgie Realität werden zu lassen, indem sie auf dem klimatisch günstigen Hochland von Kenia ausgedehnte Ländereien erwarben, um dort Landsitze nach heimatlichem Muster zu errichten und einen abgehoben dekadenten Lebensstil zu pflegen.
    Naturgemäß führte diese spezielle Sicht des Empires zu einem oft verzerrten Bild der indigenen Gesellschaftsordnungen und Lebensverhältnisse und dementsprechend zu nachteiligen Folgen für die Praxis der kolonialen Herrschaft. Dies galt in besonderem Maße für Indien. Hier war nach den Erfahrungen des großen Aufstandes von 1857 das Urteil über ein rückständiges Indien, dem der zivilisatorische Missionseifer der liberalen Epoche gegolten hatte, zugunsten eines idealisierten Bildes von einem zeitlosen, traditionsgesättigten Indien aufgegeben worden, das es zu bewahren gelte. So glaubten selbst Wissenschaftler wie der angesehene Staatsrechtler Sir Henry Maine, in der typischen indischen Dorfgemeinschaft sei der Urtyp einer ursprünglichen arischen Gesellschaftsordnung nicht nur erhalten geblieben, sondern immer noch funktionstüchtig. Und im indischen Kastenwesen erblickte man eine überlieferte organische Gesellschaftsordnung mit den einheimischen Fürsten an der Spitze einer Hierarchie, über der nun der britische Monarch als Kaiser von Indien throne. Die Politik statusbewußter britischer Vizekönige galt somit dem Ziel, in den großen politischen Demonstrationen der Krönungsparaden, den Durbars, ihr Bild einer exotisch bunten indischen Zauberwelt Wirklichkeit werden zu lassen. Während nach Meinung von Männern wie Lord Curzon England demokratischer Vulgarität zum Opfer zu fallen drohe, strebten sie danach, in der Form des ‹Alten Indien› die Stabilität aristokratischer Herrschaftsformen zu sichern, wie die pompöse Eröffnung einer indischen Fürstenkammer 1921 bezeugte.
    In Gebieten direkter Kolonialherrschaft, wie z.B. in Britisch-Indien, waren die Briten allerdings darauf angewiesen, diejenigen Einheimischen, die in der Verwaltung eingesetzt wurden, europäischen Maßstäben entsprechend auszubilden, d.h. eine neue koloniale Elite zu schaffen. Deren Vertretern gegenüber hegten sie allerdings ein gehöriges Maß an Mißtrauen, in der Meinung, daß diese ihren ursprünglichen Wurzeln entfremdete neue Schicht langfristig einen Sprengsatz im Gefüge der traditionalen indigenen Gesellschaften bilden würde. Einerseits brauchte man sie, andererseits achtete man sie gering; letztlich war die Verwaltung des Empire von einem «romantischen, antikapitalistischen Ethos»[ 39 ] geprägt; ein Widerspruch, der sich schon bald nachteilig auswirken sollte, weil diese neue Elite damit schließlich in die Opposition zur Kolonialmacht gedrängt wurde.
    So wirken hinter der glanzvollen Fassade des Britischen Empire bei genauerer Betrachtung Spannungen, die zu feinen Haarrissen in seinem Mauerwerk führten, ohne jedoch vorerst die Standfestigkeit des Gebäudes zu gefährden. Dieses beeindruckte vielmehr nach wie vor, insbesondere angesichts des offenkundigen Mißverhältnisses von schmaler Machtbasis und riesigem Überbau. Diese Diskrepanz zwischen dem realen Potential der Insel England und den Anforderungen eines weltweiten Herrschaftsanspruchs konnte lediglich dadurch überbrückt werden, daß sich das Reich nicht auf einseitige Beherrschung durch die Metropole gründete, sondern auch auf freiwillige Kooperation (durch die Dominien) und Kollaboration (in den abhängigen Kolonien). Hinzu kam, daß die Belastbarkeit dieser vielfältigen Beziehungen vor 1914 keinen ernsthaften oder gar langandauerden Prüfungen ausgesetzt war; hier bildeten der indische Aufstand und der Burenkrieg die einzigen nennenswerten Ausnahmen. Selbst in der phasenweise krisenträchtigen Epoche des Hochimperialismus, als die europäischen Großmächte sich vielerorts auf dem Globus als wetteifernde Konkurrenten gegenüberstanden, konnte Großbritannien den bewaffneten Konflikt mit einer rivalisierenden Kolonialmacht vermeiden und dennoch aus dem ‹Wettlauf um Afrika› als Sieger hervorgehen. Im Unterschied dazu war das erste Empire in einer Situation gescheitert, in der es sich gleichzeitig Angriffen von innen – durch den Widerstand der amerikanischen Siedler – und außen – durch die zuvor unterlegenen Kolonialmächte Frankreich und Spanien – ausgesetzt sah. Für das Zweite Empire standen zu

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