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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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… und so ist es ein Widerspruch, daß die größte Kolonie Englands weiterhin nach völlig anderen Prinzipien regiert wird.» ‹Über Mitbestimmung zur Selbstbestimmung›: Auf diese Formel ließ sich die Hoffnung derjenigen bringen, die ein Ende der autokratischen Kolonialherrschaft anstrebten. Und tatsächlich hatte es im Gefolge der Übernahme Britisch-Indiens durch die Krone geheißen, daß bezüglich der Rekrutierung des Indians Civil Service (ICS) keine Rassenschranke bestehen, hier vielmehr allein das Leistungsprinzip gelten dürfe. «Und fernerhin ist es unser Wille – so hatte Königin Viktoria 1858 verkünden lassen –, daß unsere Untertanen, gleich welcher Rasse oder welchen Glaubens, so weit wie möglich freien Zugang zu Ämtern in unserem Dienst haben sollen, um Aufgaben wahrzunehmen, die ihrer Erziehung, ihren Fähigkeiten und ihrer Integrität angemessen sind.»[ 6 ] In der Praxis jedoch türmten sich für indische Kandidaten auf diesem Weg zu einer bescheidenen Mitwirkung an der Verwaltung Indiens schier unüberwindliche Hindernisse auf, denn die Examina wurden ausschließlich in England abgenommen, was für gläubige Hindus bedeutete, daß sie durch eine Seereise ihren Kastenstatus verlieren würden. Geprüft wurde zudem der Stoff eines englischen Curriculums mit den Schwerpunkten der klassischen Sprachen und der Mathematik. Zudem war das Höchstalter für die Aufnahmeprüfung mit zunächst 21 und nach 1878 sogar 19 Jahren extrem niedrig angesetzt. Dementsprechend gelang zunächst nur einer Handvoll Einheimischer der Eintritt in den höheren indischen Verwaltungsdienst; 1864 war es ein einziger, 1869 waren es drei, darunter Surendranath Banerjea, später einer der führenden Köpfe der nationalen Bewegung. Seine ‹Karriere› im ICS war geradezu beispielhaft. Zunächst verlor er seinen Kastenstatus, und als er dann das Examen bestand, sollte es ihm wegen einer angeblichen Fälschung seines Alters, das er indischer Zählweise entsprechend angegeben hatte, aberkannt werden. Durch Gerichtsbeschluß wieder eingesetzt, nahm man schließlich einen geringfügigen Fehler in einem Bericht zum Anlaß, ihn aus dem Dienst zu entlassen. Nun wurde er erst recht politisch aktiv und bereiste ganz Indien im Rahmen einer Kampagne für eine stärkere Repräsentation seiner Landsleute im Verwaltungsdienst.
    Bei ihren Bemühungen um politische Einflußnahme suchten andere den direkten Weg in die Metropole. Der Publizist Dadabhai Naoroji ging 1855 im Dienst einer indischen Handelsfirma nach London und bemühte sich dort, durch die Gründung einer London Indian Society die britische Öffentlichkeit über die Probleme seines Landes zu informieren. Durch Kontakte zu britischen Radikalen gelang es ihm sogar, 1892 einen Sitz für die Liberalen im britischen Unterhaus zu erringen, obwohl der konservative Premier Lord Salisbury zuvor die Überzeugung geäußert hatte, britische Wähler würden doch keinem ‹nigger› ihre Stimme geben. Ebenso wie Banerjea sollte auch er später eine prominente Rolle bei der Formierung der indischen nationalen Bewegung spielen.
    Daß es gegen Ende des 19. Jahrhunderts dann schließlich zur Bildung einer überregionalen indischen nationalen Organisation kam, war vor allem auf den Gang und die Besonderheiten der britischen Indienpolitik zurückzuführen. Deren Oszillieren zwischen Repression und zögerlicher Reformbereitschaft, in dem sich das Wechselspiel von liberaler und konservativer Empirepolitik niederschlug, hatte schließlich zur Folge, daß auch bei denjenigen Mitgliedern der neuen indischen Elite, die ursprünglich auf Kooperation mit den Briten gesetzt hatten, das Mißtrauen zu überwiegen begann. Beispielhaft hierfür waren die Entwicklungen der 70er und 80er Jahre. Nachdem die konservative Regierung Salisbury 1876 bereits das Eintrittsalter für den ICS auf 19 Jahreherabgesetzt hatte, schlug der Vizekönig Lord Lytton, seinerseits ebenfalls ein entschiedener Imperialist, sogar vor, indischen Aufsteigern generell den Zugang zum höheren Verwaltungsdienst zu versperren und sich statt dessen der Kollaboration von Vertretern etablierter indischer Eliten zu bedienen. Mit dieser Variante der für die britische Kolonialpolitik vielerorts typischen indirect rule scheiterte er allerdings, als 1880 Gladstone in England die Regierung übernahm und den entschiedenen Liberalen Lord Ripon als Vizekönig nach Indien entsandte, der nun seinerseits vergeblich versuchte, zumindest auf der

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