Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Beginn des 20. Jahrhunderts dergleichen Prüfungen noch bevor.
– IV –
ENDE UND ERBE – VOM EMPIRE ZUM COMMONWEALTH
2. DAS ENDE DES INDISCHEN REICHES
Auch im 20. Jahrhundert bildete Indien nach wie vor das Herzstück des Empire; die beiden Weltkriege hatten seine Schlüsselposition abermals unter Beweis gestellt. Daher sollte hier auch über die Zukunft des Empire entschieden, d.h. die Probe aufs Exempel gemacht werden, inwiefern sich direkte Kolonialherrschaft in Partnerschaft nach dem Muster des Commonwealth umformen ließ. Dabei sah sich die britische Politik einer äußerst schwierigen Aufgabe gegenüber, denn wenn auch mit dem 1931 in der Statute of Westminster auf eine Formel gebrachten Commonwealth das Ziel vorgegeben war, so mußte der Weg dorthin zunächst abgesteckt und trotz mannigfacher Hindernisse zurückgelegt werden, zumal die Geschichte der Dominions für Indien keine Pilotfunktion besitzen konnte. Dazu war seine Ausgangslage zu verschieden von den weißen, vornehmlich britischen Siedlungskolonien. Und selbst dort, wo die Briten auf Grund gemeinsamer Kultur und Traditionen ihre Landsleute in Übersee geradezu zur Selbstverwaltung prädestiniert sahen, hatte es fast ein Jahrhundert gedauert, bis auf den Durham-Report der Balfour-Report gefolgt war.
Auch mit Blick auf Indien war vereinzelt frühzeitig der Übergangscharakter der britischen Herrschaft betont worden. Bereits 1818 hatte Warren Hastings einen Rückzug der Engländer in nicht allzu ferner Zukunft prophezeit, und nach ihm rechtfertigten besonders Liberale wie Macaulay die britische Herrschaft in erster Linie als treuhänderischen Erziehungsauftrag, dessen Endziel die Entlassung des indischen Zöglings in die politische Mündigkeit war. Doch unter dem Eindruck des großen Aufstands des Jahres 1857, in dem viele das Scheitern des Projekts eines idealistischen Erziehungskolonialismus erblickten, trat ein grundlegender Wandel ein. Hatte man bis dahin wiederholt verkündet, die britische Herrschaft diene vornehmlich der Zielsetzung, Indien auf die Höhe britischer Kultur zu führen, so tat sich durch die Erfahrung des Aufstands für die Mehrzahl der Briten eine schier unüberbrückbare Kluft zwischen diesem hehren Fernziel und der Realität indischer ‹Barbarei› auf. Und wenn angesichts einer nunmehr offenkundig unversöhnlichen Andersartigkeit von Kolonialherren und Eingeborenen noch weiterhin von einer historischen Pflicht der Briten gegenüber Indien die Rede war, so galt diese nicht mehr in erster Linie einer erzieherischen Mission, sondern lediglich dem Auftrag, dieses Land vor dem Chaos zu bewahren, in das es unweigerlich zurückfallen werde, würde es aus der Obhut des Empire entlassen. Dies blieb fortan die gängige Rechtfertigungsdoktrin britischer Imperialisten – bis über das Ende des 19. Jahrhunderts hinaus. Gegründet auf die Überzeugung von der biologisch determinierten Überlegenheit der eigenen ‹Rasse›, sahen sie sich in Indien zur Herrschaft über ein Volk berufen, dem letztlich sämtliche Voraussetzungen fehlten, um einmal, dem Vorbild der ‹weißen› Dominions folgend, in die politische Selbständigkeit entlassen zu werden. Für die Praxis bedeutete dies die Notwendigkeit einer permanenten Kolonialherrschaft, deren unbegrenzte Fortdauer sich aufs Beste mit der wohlbegründeten Überzeugung vereinbaren ließ, daß die britische Herrschaft über Indien zugleich der Eckpfeiler der britischen Weltmachtstellung war. Folglich war der Vizekönig Lord Curzon, einer der entschiedensten Verfechter der konservativen Empirekonzeption, nur konsequent, wenn er das Absingen der populären Hymne ‹Onward Christian Soldiers› deswegen verbot, weil dort die Zeile «Crowns and Thrones may perish, Kingdoms rise and wane» unter Umständen als Hinweis auf ein mögliches Ende der britischen Herrschaft verstanden werden könnte.
Curzon und andere sahen sich in ihrer Auffassung auch durch ihre Sicht der Realität der indischen Szene bestätigt, deren buntscheckige Vielfalt sie als Indiz für ein nur mühsam zu bändigendes Chaos verstanden. Bildete doch der Subkontinent ein Mosaik aus verschiedenen Regionen von z.T. ausgeprägter Eigenart, die auch die britische Verwaltung nicht verwischt hatte, sondern die die unterschiedliche Identität der einzelnen Provinzen Britisch-Indiens bestimmte. Daneben bestanden die mehr als 560 formal halbsouveränen indischen Fürstentümer, die zusammengenommen ungefähr ein Drittel des
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