Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Rußland und Rumänien, so daß bei Kriegsausbruch 1914 ca. 90.000 Juden in Palästina lebten, nicht nur in Jerusalem, wo sie seit Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber den Arabern bei weitem die Mehrheit der Bevölkerung stellten, sondern auch auf dem Land, wo sie seit 1880 über fünfzig eigene Siedlungen – darunter 1909 auch Tel Aviv – gegründet hatten. Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gingen die Türken rücksichtslos nicht nur gegen die nationalistischen Regungen unter den Arabern, sondern ebenso gegen alle zionistischen Bestrebungen vor; ca. 18.000 Juden flohen bzw. wurden aus Palästina vertrieben.
Doch gleichzeitig wirkte sich der Krieg auch zum Vorteil für die zionistische Bewegung aus, da der britischen Regierung viel daran lag, die Juden für die Sache der Alliierten zu gewinnen, sowohl mit Blick auf die einflußreiche jüdische Diaspora in den USA als auch später in Rußland, das mit der Revolution aus der gemeinsamen Front der Alliierten ausgeschieden war. Solches Kalkül war mitentscheidend, als der britische Außenminister Lord Balfour am 2. November 1917 den einflußreichen Sprecher der britischen Zionisten Lord Rothschild in einem offiziellen Schreiben wissen ließ, die britische Regierung betrachte mit Wohlwollen das Projekt der «Gründung einer nationalen Heimstatt (National Home) für das Jüdische Volk in Palästina» und werde alles daransetzen, dies in die Tat umzusetzen. Zugleich war zwar der Vorbehalt formuliert, «daß nichts unternommen werden dürfe, wodurch die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nicht-jüdischer Gemeinden in Palästina eingeschränkt würden», doch tatsächlich hatte sich die britische Politik mit dieser Balfour-Declaration für die Zukunft eine unlösbare Aufgabe gestellt. Denn bereits vorher hatte man dem arabischen Bundesgenossen ebenfalls politische Selbständigkeit verheißen und, wenn auch vage, einen arabischen Staat in Aussicht gestellt, der gegebenenfalls Palästina einschließen könne. Andererseits werteten die Zionisten schon bald die Balfour-Erklärung als einen Blankoscheck für die Einrichtung eines souveränen jüdischen Staates und suchten fortan, ihre Forderung durch eine massive jüdische Einwanderung nach Kräften zu untermauern.
Wenn sich die Briten mit ihrer zweideutigen Politik in Palästina in eine nahezu ausweglose Position zwischen zwei Fronten manövriert hatten, so lag das abermals an der mangelnden Abstimmung zwischen der Metropole und der Peripherie, d.h. zwischen den maßgeblichen Kräften in der Regierung einerseits und den im Nahen Osten tätigen hohen Beamten, wie z.B. Sir Henry McMahon, dem Hochkommissar für Ägypten, andererseits. In London fanden die Lobbyisten des Zionismus williges Gehör, nicht nur weil man den Juden ein moralisches Recht auf das Land ihrer Vorväter zubilligte, sondern auch, weil man sich von einem kräftigen Zustrom jüdischer Siedler einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung für die Region versprach. Die Engländer in den arabischen Ländern hingegen neigten dazu, ganz im Sinne von T. E. Lawrence, die politischen Ziele der ‹edlen Wüstensöhne› als ihrer militärischen Bundesgenossen zu unterstützen.
Als dann 1922 Großbritannien das Völkerbundmandat für Palästina übertragen wurde, betonte der Artikel 2 des Vertrages, ganz im Sinne der Balfour-Deklaration, die britische Verpflichtung zur Schaffung der politischen, administrativen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gründung einer nationalen Heimstatt für die Juden. Und obwohl die Juden zu dieser Zeit mit 83.790 Einwohnern nur 11 % der im Lande ansässigen Bevölkerung stellten, billigte ihnen der Artikel 4 des Vertrages weitgehende Mitwirkung an dieser Aufgabe durch eine Jewish Agency zu. Den Juden gegenüber verfuhren die Briten somit nach dem bewährten Muster der indirekten Herrschaft, während die ca. 600.000 arabischen Palästinenser ein entsprechendes Angebot ablehnten und statt dessen uneingeschränkte Selbstbestimmung forderten, woraufhin sie der direkten Aufsicht des Mandatars unterstellt wurden.
Obwohl es bereits vor der Mandatszeit vereinzelt zu gewalttätigen Aktionen der Araber gegen jüdische Siedlungen gekommen war, blieb die britische Verwaltung zunächst Herr der Lage. Doch das änderte sich mit dem rasch anwachsenden Zustrom jüdischer Einwanderer, gegen den arabische Delegationen in London wiederholt vergeblich protestiert hatten. Allein zwischen 1924 und 1927 kamen 65.000
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