Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
der benachbarten Plantagenkolonie Carolina.
Expansion durch Migration
Rückblickend wird deutlich, daß mit der Gründung seiner Siedlungskolonien im Bereich des nordamerikanischen Küstenstreifens England nicht nur eine neue Phase, sondern auch eine neue Form der europäischen Expansion nach Übersee eröffnet hatte. Denn weder die Franzosen, noch Holländer oder auch Schweden, die allesamt ebenfalls in dieser Region Fuß zu fassen suchten, entfalteten ähnlich intensive Formen kolonialer Aktivitäten. Die Engländer waren die ersten, die in großem Umfang siedelten, sich nicht mit der Gründung von Handelsstationen begnügten und mit ihren Siedlungen neues Kulturland begründeten und nicht, wie z.B. die Spanier, in erster Linie vorhandene Kulturen unterwarfen und ausbeuteten.
Damit war letztendlich auch das Schicksal der indianischen Ureinwohner besiegelt. Vor allem durch Epidemien seit 1500 um mehr als die Hälfte ihrer geschätzten Population von 562.000 Menschen reduziert, waren sie an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert nun den ca. 260.000 im östlichen Nordamerika lebenden Kolonisten auch zahlenmäßig unterlegen. Und deren Landhunger war nicht zu stillen. Dabei entzogen die Siedler mit der Einführung europäischer Formen der Landwirtschaft den Ureinwohnern ihre Lebensgrundlage. Ausgedehnte Rodungen und eingezäuntes Weideland traten an die Stelle der offenen Jagdgründe der Indianer, die dann in der Regel vor dem wachsenden Druck der Einwanderer weiter nach Westen auswichen. Und wenn sie etwa – wie am nachhaltigsten im ‹King Phillip’s War› 1670 – die Eindringlinge mit Gewalt zu vertreiben suchten, mochten sie wohl einzelne Siege erringen, unterlagen aber am Ende den überlegenen Feuerwaffen der Weißen, deren Zahl zudem unerschöpflich schien, so daß niedergebrannte Siedlungen nicht nur in kurzer Zeit wiedererrichtet wurden, sondern weitere hinzukamen.
Das Fundament für diesen Zustrom lieferte eine Massenauswanderung, wie sie bis dahin weder im Hinblick auf den Umfang noch die Formen bei keiner anderen der jungen Kolonialmächte vorgekommen war. Man schätzt heute, daß zwischen 1601 und dem Beginn des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges insgesamt ca. 650.000 Auswanderer die britischen Inseln in Richtung Amerika verließen,[ 10 ] wobei dieser Strom zu unterschiedlichen Zeiten natürlich unterschiedlich stark war; im 17. Jahrhundert waren es ungefähr 380.000, zwischen 1701 und 1780 dann 270.000. Und wenn während des großen Exodus der Jahre 1620–1640 ca. 70.000 Auswanderer England verließen, so war angesichts einer Bevölkerungszahl von ca. 5 Millionen die jährliche Emigrationsrate ungewöhnlich hoch, zumal sie zum überwiegenden Teil die Gruppe der jungen arbeitsfähigen Männer betraf. Denn anders als die Spanier verließen die meisten Briten ihre Heimat nicht, um in Übersee als Eroberer Beute zu machen oder einheimische Arbeitskräfte auszubeuten, sondern um sich selbst mit ihrer Hände Arbeit eine Existenz aufzubauen.
In der Regel trafen sie eine solche Entscheidung freiwillig, allenfalls beeinflußt durch werbende Flugblätter kolonialer Unternehmer. Daneben existierte allerdings die Praxis, nicht nur Straftäter, sondern auch unerwünschte Elemente› wie Arme oder ältere unverheiratete Frauen, die die Finanzen der Gemeinden belasteten, in die Kolonien abzuschieben. So sah die Transportation Act des Jahres 1718 erstmals vor, daß nicht nur als Gnadenakt bei Kapitalverbrechen, sondern auch als Strafe bei so geringen Vergehen wie dem Diebstahl von einem Schilling oder bei Wilderei die Deportation verfügt werden konnte. Zwischen 1720 und 1763 verabschiedete das Parlament dann insgesamt 16 diesbezügliche Gesetze, auf deren Grundlage fast 50.000 männliche und weibliche Sträflinge als billige Arbeitskräfte in die amerikanischen und westindischen Kolonien entsandt wurden. Dies bedeutet allerdings nicht, daß der Staat eine gezielte Kolonialpolitik verfolgte. Vielmehr lagen, wie bereits geschildert, den Koloniegründungen durchaus unterschiedliche Interessen zumeist privater Initiatoren zugrunde. Das Ergebnis waren keine uniformen Gebilde, geschweige denn konforme amerikanische Ableger des englischen Mutterlandes, und so spiegelten die Kolonien in ihrer Vielfalt auch die Krisen und Konflikte der ereignisreichen britischen Geschichte des 17. Jahrhunderts wider.
Das größte Kontingent der britischen Auswanderer kam zunächst aus England, doch die Zahl der Schotten und
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