Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
und dem Parlament in London lag, verfügte der Generalgouverneur in Indien über eine uneingeschränkte Machtfülle. Er stand an der Spitze der Verwaltung und stützte sich dabei auf eine schlagkräftige Armee, die das eigentliche Rückgrat der britischen Herrschaft bildete. Von 1784 bis hin in die Zeit des Ersten Weltkriegs war die britische Herrschaft in Indien «letztlich ein despotisches Militärregime durch eine auswärtige Macht».[ 12 ]
Neben der Armee bildete eine seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im Aufbau begriffene moderne Bürokratie, der Covenanted Indian Service (CIS), die zweite Stütze britischer Herrschaft in Indien. In der Vergangenheit waren die Bediensteten der Kompanie durch ihr Amt entlohnt worden, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Effizienz ihrer Tätigkeit, die vor allem auf die Mehrung der persönlichen Einkünfte ausgerichtet war. Es war der Marquis Cornwallis, dessen Kapitulation als Befehlshaber der britischen Truppen in Carolina 1781 die Niederlage Englands im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg besiegelt hatte, der als Generalgouverneur von Indien (1786–1793) die wegweisenden Reformen mit dem Ziel einer effizienten staatlichen Verwaltung in Gang setzte. In Umkehrung der herrschenden Prinzipien wurde der Dienst fortan durch angemessene Gehälter und entsprechende Pensionen vergolten. Allmählich gaben bei Einstellungen und Beförderungen nicht mehr Beziehungen und Protektion, sondern Verdienst bzw. das Senioritätsprinzip den Ausschlag. 1806 gründete die Kompanie in England mit Haileybury College eine eigene Ausbildungsstätte für ihren Verwaltungsdienst. Hier regelte seit 1853 eine auf das Curriculum der Universitäten Oxford und Cambridge zugeschnittene Aufnahmeprüfung den Zugang und Mathematik, Latein und Griechisch waren die zentralen Prüfungsfächer. Nach der Einstellung folgte in Indien die Unterweisung in indischen Sprachen, und auch Jura stand auf dem Stundenplan. Auf dieser Basis entstand im Rahmen des indischen Kolonialreichs das erste Berufsbeamtentum Großbritanniens, eine moderne professionelle Kolonialbürokratie, deren Personal sich zugleich als Elite verstand und von einem entsprechenden Korpsgeist bestimmt war. Besonders Angehörige des englischen Bürgertums, die in einer noch immer aristokratisch geprägten Gesellschaft keine Aufstiegschancen für sich sahen, drängten in diesen Prestigeservice des Empire; zwischen 1860 und 1874 kamen drei Viertel der Bewerber aus dem Milieu des gehobenen Mittelstandes. Nach bestandenen Examina gehörten sie zu jenen knapp 1000 Mitgliedern des CIS, die für anderthalb Jahrhunderte Britisch-Indien regierten. Einige von ihnen hatten Distrikte zu verwalten, in denen auf mehr als 17.000 Quadratmeilen bis zu drei Millionen Inder lebten. Wie in der Armee standen auch ihnen zahlreiche einheimische Hilfskräfte zur Verfügung, als Schreiber, Steuereinnehmer, Telegraphisten usw. Im Jahr 1887 z.B. waren insgesamt 21.466 Personen in untergeordneten Positionen in der Verwaltung Britisch-Indiens beschäftigt, von denen nahezu die Hälfte Hindus waren.
Im Laufe der Zeit änderten sich die Zielsetzungen und mit ihnen die Praxis dieser britischen Kolonialherrschaft. Zu Beginn hatte man sich damit begnügt, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten und die Steuern einzutreiben ohne zugleich nachhaltig in die innerindischen Verhältnisse einzugreifen. Da sie anfangs möglichst nahtlos an die überlieferten Formen der Mogulherrschaft anknüpfte, erschien die englische Herrschaft den indischen Untertanen durchaus erträglich. Hinzu kam, daß Männer wie Warren Hastings, der als Generalgouverneur (1774–1785) bei der Ausdehnung und Festigung britischer Herrschaft auf Clives Spuren wandelte, asiatische Religionen und Kulturen – und hier speziell die indischen Institutionen und Lebensformen – nicht nur tolerierten, sondern respektierten und mit Eifer studierten. So veranlaßte Hastings englische Übersetzungen von muslimischen und Hindu-Gesetzessammlungen zum Gebrauch für britische Richter in Indien und förderte zudem das Studium indischer Kunst und Literatur durch britische Gelehrte wie den Orientalisten Sir William Jones, der Texte des alten Sanskrit mit dem Griechischen und Lateinischen verglich und so wesentlich zur Entwicklung des Konzepts von einer indogermanischen Sprachfamilie beitrug. Manche Briten nahmen einheimische Lebensformen an, wie etwa Colonel Kirkpatrick, der als Gesandter am Hof von Haidarabad seinen Bart mit Henna
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