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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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Shah als den letzten Nachkommen der entmachteten alten Mogul-Dynastie gegen dessen Willen zu ihrem Kaiser aus. Rasch dehnte sich der Aufstand aus und erfaßte bald ein Gebiet von West-Bengalen bis hin zum Pandschab unter Einschluß des Nordwestens Zentral-Indiens. Neben einzelnen durch die Briten zuvor entmachteten Fürsten schlossen sich ihm auch Teile der ländlichen Bevölkerung und darunter sogar einige Großgrundbesitzer an. Erst nach mehr als einem Jahr erbitterter Kämpfe konnte der Aufstand niedergeschlagen und die Regierungsgewalt der Briten in vollem Umfang wiederhergestellt werden.
    Wenn später indische Historiker[ 14 ] das Ereignis als den ersten vergeblichen Kampf um die nationale Unabhängigkeit Indiens werteten, weil sich die Rebellen dabei ausdrücklich auf das alte Mogul-Reich bezogen hatten, so halten dem andere, vorwiegend britische Autoren entgegen, daß die große Mehrheit der Inder nicht die Erhebung unterstützte und selbst große Teile der Armee wie die bei Bombay und Madras stationierten Truppen bei ihrem Einsatz gegen die Aufständischen loyal zu den Briten standen. Doch obwohl der Aufstand nicht von einer bestimmten sozialen Gruppe getragen wurde und es ihm an einem gemeinsamen Programm und einer einheitlichen Führung fehlte, hatte es sich andererseits dabei nicht um eine eher zufällig ausgebrochene Meuterei gehandelt. Vielmehr lassen sich die Ereignisse als Facetten einer Revolte des traditionellen Indien gegen die nun verstärkt einsetzende Politik einer forcierten Europäisierung bestimmen. Nicht zufällig war der Aufstand in der erst kürzlich annektierten Provinz Oudh ausgebrochen, und wenn die meuternden Rekruten zum Teil notleidenden Landgemeinden entstammten und darüber hinaus Angriffe auf Bankiers und Geldverleiher sowie Behördenarchive typische Momente einer sozialen Revolte waren, so handelte es sich hierbei in erster Linie um die Reaktion auf die Auswirkungen einer durch die britische Verwaltung verursachten sozialen Umbruchsituation.
    Eindeutiger als die Ursachen lassen sich die Folgen des indischen Aufstands bestimmen, der vor allem das künftige Verhältnis zwischen britischen Kolonialherren und beherrschten Indern nachhaltig beeinflußte. Dabei spielte nicht so sehr die hohe Zahl der Opfer auf beiden Seiten die entscheidende Rolle, als vielmehr die exzessiven Grausamkeiten, die im Verlauf der Kämpfe begangen wurden. Zunächst waren es die Aufständischen, die im Verein mit dem städtischen Mob unterschiedslos alle Europäer, derer sie habhaft werden konnten, niedermetzelten. Besonders das schreckliche Ende zahlreicher britischer Frauen erregte die englische Öffentlichkeit. Presseberichten zufolge wurden in Delhi 48 britische Frauen durch die Straßen getrieben und vor aller Augen vergewaltigt, bevor man sie umbrachte. Und als die Garnison von Cawnpore nach wochenlanger Belagerung und Beschießung kapitulieren mußte, wurden, obwohl man ihnen freies Geleit zugesichert hatte, in der Nacht vom 15. zum 16. Juli die letzten 65 überlebenden von ursprünglich mehr als 200 Frauen und Kindern systematisch niedergemetzelt. Gerade auch vor dem Hintergrund des viktorianischen Frauenbildes, das das schwache Weib als den engelsgleichen Hüter des häuslichen Herdes und Garanten christlicher Moral propagierte, besaß nun das Empire in den Frauen von Cawnpore seine Märtyrerinnen. Fortan herrschte bis weit ins 20. Jahrhundert das stereotype Vorurteil von der stets lauernden Gefahr für die weiße Frau durch die ungezügelte Begierde des wilden Eingeborenen, die selbst bei Indern der Oberschicht bestenfalls unter einem dünnen Firnis angenommener europäischer Bildung und Sitten schlummere. E. M. Forsters großer Indienroman A Passage to India aus dem Jahre 1924 liefert hierfür das wohl eindrucksvollste Beispiel.
    Die unmittelbare britische Reaktion auf die Exzesse der Aufständischen war, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Nach der Einnahme von Peshawar band man Gefangene vor die Mündung der Geschütze und gab Feuer; die Wiedereroberung von Delhi gipfelte in einem allgemeinen Blutbad, als jeder erwachsene Inder unterschiedslos niedergemacht wurde. Und es waren jetzt die entschiedenen und missionseifrigsten Christen, die am lautesten nach Rache riefen und mit begeisterter Zustimmung in den Londoner Zeitungen lesen konnten, daß die Leichen von 150 Hindus am höchsten Baum von Cawnpore hingen.
    Längerfristig trug der Aufstand dazu bei, daß vor allem in Indien ansässige Briten

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