Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
zahlenmäßige Übermacht der Briten entschieden worden. Beim Eintreffen der Europäer bewohnten schätzungsweise zwischen 100.000 und 250.000 Maori die Inseln. Zur Zeit des Vertragsschlusses von Waitangi 1840 war deren Zahl auf 70.000 bis 90.000 gesunken – nicht allein in Folge sinkender Fertilitäts- und steigender Sterblichkeitsrate durch eingeschleppte Infektionskrankheiten, sondern auch auf Grund zahlreicher Kriege zwischen den einzelnen Stämmen. Zur selben Zeit gab es lediglich 2000 Weiße in Neuseeland, doch bereits 20 Jahre später bildeten sie mit ca. 59.000 die Mehrheit gegenüber nunmehr 56.000 Einheimischen, und der erste offizielle Zensus des Jahres 1896 zählte 701.000 Europäer – zum überwiegenden Teil britischer Herkunft – und 42.000 Maori, deren Zahl im Laufe des folgenden Jahrhunderts allerdings wieder anstieg und im Jahr 1971 227.414 betrug (7,9 % der Gesamtbevölkerung).
Neuseeland wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts Großbritanniens Musterkolonie, in der Wakefields Vision von der Schaffung möglichst getreuer Kopien der englischen Gesellschaft in Übersee weitgehend verwirklicht worden war, wobei der größte Einwanderungsschub in der Blütezeit der viktorianischen Epoche stattfand, deren Lebensformen hier länger als in der fernen Heimat bewahrt wurden. Ähnlich wie in Australien, bildeten auch in Neuseeland Küstenstädte wie Auckland, Wellington und Christchurch die Siedlungsschwerpunkte, obwohl die Wirtschaft überwiegend agrarisch bestimmt war, da das Land arm an Bodenschätzen ist. Ebenfalls wie in Australien bildete die ca. 4000 Hektar große Schaffarm zunächst die ökonomische Grundeinheit und Wolle den Hauptexportartikel. Als später die ersten modernen Kältetechniken entwickelt wurden, transportierten gegen Ende des Jahrhunderts Kühlschiffe in zunehmendem Maße auch Fleisch und Milchprodukte nach England, das der Haupthandelspartner seiner Musterkolonie war.
Die politische Entwicklung Neuseelands entsprach dem gängigen Muster für die weißen Siedlungskolonien des Empire. Nachdem die Londoner Regierung zunächst angesichts des anfangs noch bestehenden demographischen Übergewichts der Maori mit der Einführung der Selbstverwaltung gezögert hatte, wurden 1852 sowohl für die gesamte Kolonie wie auch für deren sechs Provinzen repräsentative Versammlungen eingerichtet, mit der Befugnis weitgehender Selbstbestimmung für die inneren Angelegenheiten der Kolonie. Das Wahlrecht wurde allen Bewohnern zugestanden, die Grundbesitz nach englischem Recht besaßen, wodurch die große Mehrheit der Maori ausgeschlossen blieb. Erst als die kriegerischen Auseinandersetzungen dem Ende zugingen, gewährte man den Maori 1867 in dem 74 Sitze umfassenden Parlament (heute sind es 87) deren vier – eine bis heute gültige Regelung, die angesichts des Mehrheitswahlrechts dieser ethnischen Gruppe eine Mindestvertretung garantiert. Ansonsten wurden auch in Neuseeland demokratische Grundsätze früher als im britischen Mutterland verwirklicht: 1874 das allgemeine Männerwahlrecht bei einer Reduzierung der Legislaturperiode auf drei Jahre und 1893 sogar das aktive allgemeine Frauenstimmrecht unter Einschluß der Maori-Bevölkerung. Hinzu kamen bereits gegen Ende des Jahrhunderts u.a. ein modernes Scheidungsrecht sowie die Anfänge einer weitreichenden Sozialgesetzgebung, so daß Neuseeland zu Recht den Anspruch erheben konnte, als Musterland des politischen Fortschritts zu gelten. 1907 bestätigte schließlich die Londoner Regierung der Kolonie offiziell den Dominionstatus.
4. AFRIKA – VOM KAP BIS KAIRO
Anders als im pazifischen Raum, wo die Gründungen der britischen Kolonien um die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen und Australien und Neuseeland mit der Einrichtung politischer Selbstverwaltung auf dem Wege zum Dominion-Status waren, gelangten große Teile Afrikas relativ spät unter britische Herrschaft. Hier war die territoriale Expansion des Empire erst gegen Ende des Jahrhunderts abgeschlossen, mit dem Ergebnis, daß nun London eine nahezu lückenlose, vom Kap der Guten Hoffnung bis zum Nildelta reichende Landmasse im Osten Afrikas politisch kontrollierte. Die Ausgangspunkte für die einzelnen Etappen der Landnahme hatten – unter jeweils völlig verschiedenen Voraussetzungen – Südafrika und Kairo gebildet.
Zuerst hatten die Briten im Verlauf der Kriege gegen das revolutionäre Frankreich am Kap der Guten Hoffnung Fuß gefaßt, wo sie die um die Mitte
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