Das Buch aus Blut und Schatten
Es gab keine Tür, nur einen langen, schmalen Tunnel, der in den Hauptraum der Kirche führte. Die Briefe von Elizabeth und Kelley wurden gemeinsam mit Material, das der Hoff der Bibliothek und ihren grausamen Aufsehern »entrissen« hatte, in einem groÃen Safe in der Ecke aufbewahrt, zu dem ihm Chris irgendwie die Kombination entlockt hatte. Neben dem Safe stand eine zerschlissene graue Couch mit ein paar schlappen Kissen, die ein wenig nach Hund roch. Hier machte es sich der Hoff â wenn er denn überhaupt erschien â gemütlich, um kurz darauf einzuschlafen. War der Professor nicht da, was häufig vorkam, nahm Chris das Sofa für sich in Beschlag, folgte seinem Beispiel und hielt selbst ein Nickerchen.
Aber damals, an unserem ersten Tag, schaffte es Chris, die ganze Zeit über wach zu bleiben. Er lenkte mich ständig ab und kassierte dafür strafende Blicke von Max, der am Ende des groÃen Tisches saÃ, die Schultern gebeugt, die Augen hinter der Nickelbrille zusammengekniffen, während sein Zeigefinger Zeile um Zeile dem eng geschriebenen alchemistischen Wortsalat folgte. Zwar ermahnte er uns nicht zum Schweigen, doch hätte man ihn ohne Weiteres für einen pedantischen Bibliothekar halten können. Ich hörte einen Seufzer der Erleichterung aus seiner Richtung, als Adriane kam und Chris mit sich zerrte, angeblich, damit er ihr bei dem Aufsatz für ihre Collegebewerbung half, aber wohl eher, um sein leeres Zimmer im Wohnheim für etwas Interessanteres zu nutzen.
»Stift weg, die Zeit ist um«, sagte Chris, während er meinen Notizblock zuschlug. »Du kommst auch mit.«
Ich schüttelte den Kopf. »Heute nicht.«
»Hast du was Besseres vor?«
»Hm, mal sehen. Ein glamouröser, exotischer Abend im Hause Kane, in Gesellschaft von Differential- und Integralrechnung, Physik und ein paar mitreiÃenden Lateinübersetzungen, nachdem jemand dafür gesorgt hat, dass dieser Nachmittag komplette Zeitverschwendung war.«
»Dieser âºJemandâ¹ muss ein ausgesprochener Feigling sein. Sag mir, wer es ist, dann werde ich ihn für dich verprügeln.«
»So übel ist er nun auch wieder nicht.«
Chris zwinkerte mir zu.
»Es schadet aber sicher nicht, wenn er mal was auf die Ohren bekommt. Wenn du meinst, wir sollten es mit einer Tracht Prügel versuchenâ¦Â«
Er wandte sich an Adriane. »Hast du gehört, wie sie mit mir redet? Kann ich was dafür, dass ich so attraktiv und charmant und unwiderstehlich bin und kein Mädchen mir widerstehen kann?«
»Nora hat damit anscheinend kein Problem«, erwiderte Adriane. Dann küsste sie ihn, mitten auf den Mund, indem sie sich auf Zehenspitzen stellte und dann auch noch eines ihrer Beine anwinkelte, wie ein schmachtendes Fräulein in einem Schwarz-WeiÃ-Film. »Da hab ich ja noch mal Glück gehabt.«
»Ich probierâs mal«, warf ich ein. »Nein, ich werde den heutigen Abend nicht mit dir verbringen.« Dann legte ich eine Pause ein und tat so, als würde ich nachdenken. »Das auszusprechen, war nicht besonders traumatisch. Glaubst du, das war ein Zufall? Nein, nein, nein, danke, nein. Geht einfach.«
Chris fasste mich um die Taille, zerrte mich mühelos aus dem Stuhl und hob mich hoch. Dann drehte er sich mit mir im Kreis, während ich mit den FüÃen strampelte und mich vor Lachen schüttelte. »Hilf mir dabei, ihr zu zeigen, dass sie gerade einen Riesenfehler macht«, sagte er zu Adriane.
»Chris, lass sie doch. Wenn sie nach Hause willâ¦Â«
»Wie kann sie nach Hause wollen, wenn sie eine viel bessere Alternative hat?« Er hielt mich immer noch hoch, sodass meine FüÃe einige Zentimeter über dem Boden baumelten, trotz meiner halbherzigen Versuche, mich zu befreien. Ich musste immer noch so lachen, dass ich nicht viel gegen ihn ausrichten konnte. »Du nimmst jetzt ihre Beine und dann tragen wir sie zu mir.«
Adriane rührte sich nicht von der Stelle.
»Du solltest mich jetzt besser runterlassen«, stieà ich hervor, während ich versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Mylady.« Er setzte mich behutsam ab. »Siehst du? Das sagt sich doch gar nicht so schwer. âºJa, was immer du möchtest.â¹Â«
»Dann bin ja wohl ich unwiderstehlich.«
»Ich wusste ja, dass wir etwas gemeinsam haben«, erwiderte er.
»Du weiÃt doch, dass er
Weitere Kostenlose Bücher