Das Buch aus Blut und Schatten
an sie zu glauben, nur weil die Sonne schien. Aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass Schlechtes meistens im Dunkeln geschah.
Selbst im Vorfrühling war der Hirschgraben so dicht bewachsen, dass die Türme der Burgbefestigung fast völlig hinter einer grünen Wand verschwanden. Als wir weiter in die Gärten hineingingen, verschwanden die Touristenhorden allmählich, schlieÃlich waren sie der Geschichte und der Fotomotive wegen nach Prag gekommen, nicht wegen dieses langweiligen Fleckchens Erde. Und als wir die Brücke, die PraÅ¡ný most, neben dem Turm erreichten, waren wir so gut wie allein. Es war ganz einfach, den Weg zu verlassen und zwischen die Bäume zu laufen, die auf der steilen Böschung zum Mihulka wuchsen.
Max hielt den Kompass, den wir für fünfzig Kronen an einem Souvenirstand am Eingang zur Burg erstanden hatten. Er war mit Falschgold überzogen und auf der Rückseite mit einem Heiligen geschmückt.
Sieh zum höchsten Punkt der Welt , so hatten wir beschlossen, konnte nur den geograpfischen Norden meinen. Eine Schaufel zu finden, hatte sich schon als schwieriger herausgestellt, aber dank Elis flieÃendem Tschechisch war es uns gelungen, eine kleine Gärtnerei am Rand der Malá Strana ausfindig zu machen, wo wir die kleinen Pflanzschaufeln gekauft hatten, die Adriane in ihrem Rucksack trug.
Als wir die richtige Stelle gefunden hatten, den nördlichsten Punkt am Rand des Turms, warf ich immer wieder einen Blick über die Schulter. Ich wusste nicht genau, wovor ich mich mehr fürchten sollte: vor tschechischen Sicherheitsbeamten, die uns ins Touristengefängnis warfen, weil wir Löcher in ein Nationaldenkmal buddelten, Interpol-Beamten mit Handschellen, Haftbefehlen und einem Flugticket, das mich zurück nach Chapman und direkt in das Hochsicherheitsgefängnis in achtzig Kilometer Entfernung bringen würde, oder den mit Messern bewaffneten Handlangern der Hleda Ä i . Aber ich konnte niemanden entdecken.
Wir wechselten uns beim Graben ab. In den Jahrhunderten nach Elizabeths Zeitalter war der Mihulka als Lager für SchieÃpulver, als Wohnung für die Küster des Veitsdoms und als Museum genutzt und zahllosen Renovierungen unterzogen worden. Und nachdem er bei einer SchieÃpulverexplosion im 17. Jahrhundert stark beschädigt worden war, hatte man ihn sogar teilweise neu gebaut. Es gab keine Garantie dafür, dass das, was dort vergraben worden war, immer noch vorhanden war. Nach einer Stunde, in der das Loch immer breiter und der Erdhaufen daneben immer gröÃer wurde, hatten wir nur noch wenig Hoffnung.
Dann traf Metall auf etwas Hartes.
Ich lieà die Schaufel fallen und scharrte mit bloÃen Händen in der Erde, die ich in kleinen Häufchen aus dem Loch schaufelte, bis ich eine kleine schwarze Kiste ausgegraben hatte. Für einen Moment vergaà ich, warum wir hier waren, vergaÃ, was alles passiert war; alles wurde weggeschwemmt von der Flut kindlicher Aufregung. Ein vergrabener Schatz!
Die quadratische Kiste war aus dunklem Holz, mit gravierten Eisenblechen beschlagen und etwa zwölf mal zwölf Zentimeter groÃ. Das Material war nach mehreren Jahrhunderten in Erde und Feuchtigkeit völlig zerfressen. Jemand hatte Wachs auf die Scharniere geträufelt, um sie und das, was sich in der Kiste befand, vor dem Verfall zu retten. An der Vorderseite konnte ich einen kleinen Schnappverschluss aus Gold erkennen. Eli hielt mich zurück. »Nicht hier«, sagte er. »Erst, wenn wir wieder im Hostel sind und die Tür hinter uns absperren können.«
»Ich werde sie tragen.« Max nahm die Kiste an sich, bevor ich protestieren konnte, und verstaute sie in seinem Rucksack.
Dabei wollte ich sie tragen. Ich wollte mit den Fingern über das Holz der Kiste fahren, der Kiste, die irgendwie vier Jahrhunderte überstanden hatte, die ein Geheimnis enthielt, das es wert war, dafür zu töten, ein Geheimnis, von dem Elizabeth dachte, es könnte das Ende der Welt sein. Ich wollte wissen, was in der Kiste war.
22 Der Samen der Sonne soll in die Matrix des Mercurius geworfen werden, durch Beischlaf oder Verbindung, und so zusammengefügt werden.
»Und das ist die Bauanleitung für ein Telefon zu Gott?«, fragte Adriane. »Hört sich eher an wie Porno für Chemiestreber.«
»Das ist eine alchemistische Formel«, erklärte Max. Er musste es wissen, schlieÃlich hatte er
Weitere Kostenlose Bücher