Das Buch aus Blut und Schatten
gebraucht haben. Ich weiÃ, dass er uns etwas verschweigt. Aber ich vertraue ihm.«
»Findest du das nicht widersprüchlich?«
»Ich vertraue ihm«, bekräftigte ich, obwohl ich gar nicht wusste, ob das stimmte. »Ich will, dass er bleibt.«
Erst da gab Max nach. Er setzte sich auf, mit dem Rücken zu mir. »Okay. Du vertraust ihm«, sagte er mit erstickter Stimme. »Und was ist mit mir? Vertraust du mir auch?«
»Natürlich vertraue ich dir.«
»Ich will von dir hören, dass du nichts von dem glaubst, was sie über mich gesagt haben.«
»Natürlich nicht.«
Er drehte sich um und brachte sein Gesicht so nah an meines, dass ich trotz der Dunkelheit seine Augen sehen konnte. Und er meine. »Und du glaubst wirklich nicht, dass ich vielleicht derjenige bin, derâ¦Â«
Ich legte ihm die Hand auf den Mund, bevor er es sagen konnte. »Ich vertraue dir.« Meine andere Hand lag auf seiner, damit er spüren konnte, dass ich nicht zitterte. »Ich habe nie an dir gezweifelt. Nicht eine Minute. Ich vertraue dir.«
Er legte sich wieder hin. Er nahm mich wieder in die Arme. Er küsste mich, machte die Augen zu und schlief ein.
Vielleicht war das nicht die ganze Wahrheit gewesen. Doch als ich im Bett lag, in Maxâ Armen, während wir gleichzeitig ein- und wieder ausatmeten und sein warmer Atem über meinen Nacken strich, gab es keine andere Wahrheit mehr. Ich vertraute ihm . Die Nächte, die ich allein in der düsteren Stille unseres Hauses verbracht hatte, die Nächte, in denen ich mit einem Messer in der Hand in meinem Bett gelegen und darauf gewartet hatte, dass sich jemand aus den Schatten auf mich stürzte, diese Nächte zählten nicht mehr. Diese Zweifel gab es nicht mehr. Wie alle Ungeheuer waren sie mit dem Morgenlicht verschwunden. Sie waren in dem Moment verschwunden, in dem Max wieder bei mir gewesen war.
Doch jetzt war er wieder weg. Er ging in der Lobby hin und her, leckte sich geheime Wunden, versteckte sich vor seinen Albträumen oder vor seinem Kummer oder vor mir. Ich setzte mich im Bett auf und schaltete die Lampe auf dem Nachttisch ein. Ich schaltete alle Lampen im Zimmer ein.
Elizabeths Brief lag zusammengefaltet in einer leeren Pflaster-Box, die ich in eine zusammengerollte Socke gesteckt und in den Ãrmel meines Red-Sox-Sweatshirts geschoben hatte. Nach dem, was mit unserem letzten Zimmer passiert war, wollte ich kein Risiko eingehen. Wir hatten vereinbart, dass wir gleich am nächsten Morgen versuchen wollten, Elizabeths Code zu entschlüsseln, aber ich war sowieso wach und hatte nicht die Absicht, die Augen zuzumachen, bis Max wieder da war, gesund und unversehrt.
Drei mal drei, dort wirst Du mich finden.
Ich faltete den Brief auseinander, suchte einen Stift und eine leere Seite in meinem Notizblock und fing an zu zählen.
19 S CI V NT B RV M AE V MB R AS I N I S TO V ER B O.
N I SI P ET A T E T AT E R P R AE D ON E M
I V S E M AT Q VE V RB A M V E ST R AM
E IS B ONA EX T RA V ER B UM.
I NS C IT E PE R AE V UM, I MV M PR O ME R UI T
PR E CE M IN F ER U S.
O G EN I E
O V BI N EC T AR M ER V M I N FI D EL I VM A PV D TE
C OL V IT.
L EX M EA E ST N OR M A T E PI D A
S I C C A NE M TR A DI D I A T RO E GO
R EC R EA A NI M AM A PV D ME
S OL P RA E DI C ET T OT A S I T A R E S.
Es dauerte nicht lange, bis Elizabeths richtige Nachricht zu sehen war:
SVB MVRIS VBI PATER DEVM QVAEREBAT VBI CERVIMORTEM FUGIVNT MVNDI AD CVLMEN MEDIAM AD TERRAMAD SPECTATE.
Unter den Mauern, wo unser Vater nach Gott gesucht hat, wo Hirsche vor dem Tod fliehen, sieh zum höchsten Punkt der Welt in Richtung Zentrum der Erde.
Was auch immer das bedeutete.
20 »Du bist die Expertin für Tote-Mädchen-Briefe«, sagte Adriane am Morgen, als wir um den altersschwachen Computer in der Lobby saÃen und uns leise miteinander unterhielten, falls dem Mann an der Rezeption langweilig war und er auf die Idee kam, uns zu belauschen. Adriane benahm sich wieder ganz normal, jedenfalls so normal, wie es unter diesen Umständen möglich war. Eigentlich war es nicht gerade gesund, dass sie ihre Gefühle so unterdrückte, daher hätte ich vermutlich nicht so erleichtert sein sollen. »Erleuchte uns.«
Ich hatte nichts.
»Die Suche nach Gott«, sagte Max. »Das muss das Lumen Dei sein. Dort, wo Kelley die Maschine gebaut hat.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat sie nicht gebaut. Das war sie . Und sie
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