Das Buch aus Blut und Schatten
mehr. Vielleicht bleibt er so lange hier, bis er das bekommt, wonach er gesucht hat?«
Ich stand auf. »Du glaubst, er ist das gewesen?«
Eli zuckte mit den Schultern.
»Dann hat er also sein eigenes Zimmer auseinandergenommen und âºetwasâ¹ gesucht, weil erâ¦weil er sich nicht erinnern konnte, wo er es versteckt hat?«
»Er hat die Sachen von Chris auseinandergenommen«, meinte Eli. »Und dann vielleicht seine eigenen, als Täuschungsmanöver.«
Chris bewahrte ein paar zusammengelegte Kartons in seinem Schrank auf, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatten, weil er zu gewissenhaft war, um sie einfach in den Hausmüll zu werfen, aber zu faul, um sie zum Recyclinghof zu bringen. Sie waren noch da. Ich zog einen davon heraus. »Fangen wir an«, schlug ich vor. »Wir müssen ja nicht reden.«
Ich durchsuchte das Chaos, legte jedes auf den Boden geworfene Hemd wieder zusammen, glättete zerknitterte Notizen aus einer Geschichtsvorlesung, steckte verstreute Büroklammern, Briefmarken und Stifte ordentlich in ihre Kästchen zurück. Eli akzeptierte meine Entscheidung, welche Sachen Max und welche Chris gehörten, ohne Murren, und er fragte auch nicht, warum die Moores einen Stapel Karteikarten zu einer Hausarbeit aus dem ersten Semester über die Glorreiche Revolution haben wollten oder eine Sammlung aus gestohlenen Schnapsgläsern, eines von jeder Studentenverbindung auf dem Campus. Er nahm einfach, was ich ihm in die Hand drückte, und legte es in einen Karton. Ich gab ihm alles, denn wenn ich die Eltern von Chris wäre, würde ich alles haben wollen.
Ich wollte alles.
SchlieÃlich war Chrisâ Seite des Zimmers leer geräumt, so kahl wie an dem Tag, an dem wir ihm beim Umzug geholfen und uns dann auf das leere Bett gesetzt hatten, während wir uns fragten, ob sein noch unbekannter Zimmergenosse vielleicht etwas dagegen haben würde, dass wir ihm kurzerhand das beknackte Bett unter dem kaputten Fenster zuwiesen. Die Seite von Max war jetzt wieder so ordentlich, wie es unter diesen Umständen ging, und wartete darauf, dass er zurückkam.
Doch als ich versuchte, an seine Rückkehr zu glauben, sie mir vorzustellen, wurde der Bildschirm in meinem Kopf schwarz. Es gab keinen Max ohne Chris. Und ich war ziemlich sicher, dass es mich ohne die beiden auch nicht gab.
Ich wollte nicht vor einem Fremden weinen.
Ich hatte Max Schreibblöcke zum Voynich-Manuskript auf seinen Schreibtisch gelegt. Mit dem Rücken zu Eli begann ich, sie durchzublättern, um mich von der aufsteigenden Panik abzulenken.
Sie lenkten mich ab. Nicht die hingekritzelten Ãbersetzungsversuche, die ich schon so oft gesehen hatte, wenn ich mich mit Max zusammen über die Seiten des Manuskripts gebeugt hatte, um einen Sinn im Unsinnigen zu erkennen, sondern der unterste Notizblock: ein kleiner, linierter Spiralblock in Blau, bei dem die meisten Seiten herausgerissen waren. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, genauso wenig wie das, was in der Falttasche an der hinteren Deckelinnenseite steckte â eine braune, verwitterte Seite mit Latein, die sogar noch älter aussah als die, die ich in meinem Zimmer versteckt hatte.
Ohne die ausdrückliche Genehmigung des Bibliothekars im Archiv wollte Max nicht einmal Kopien machen, aus Angst davor, ein Buch zu beschädigen, auch wenn es gar nicht selten war. Wenn die Welt da drauÃen etwas von ihm wollte, war ihm das die meiste Zeit egal, doch wenn es um diese Dinge ging â seltene Bücher, Manuskripte, Briefe â, tat er genau das, was man ihm sagte. Er befolgte die Regeln. Und daher konnte er so etwas nur haben, wenn es ihm jemand erlaubt hatte.
Was immer es auch war.
»Du kannst«, sagte Eli. »Wenn du willst.«
Ich stellte mich so hin, dass er den Block nicht sehen konnte, zog die Seite heraus und steckte sie ein.
»Was kann ich?« Ich drehte mich um und sah ihn mit unbewegtem Gesicht an.
Eli warf mir einen sonderbaren Blick zu. Als hätte er gesehen, was ich getan hatte. »Dir etwas nehmen.«
Vielleicht hatte er es ja gesehen.
»Etwas, das ihm gehört hat«, erklärte er. »Ich seh dir doch an, dass du etwas haben willst.«
Er hielt mir etwas hin, ein Foto in einem Rahmen. Ich brauchte gar nicht näher ranzugehen; ich erkannte den Rahmen. Es war das Foto von uns vier auf dem Rasen, das aus den Nachrichten. »Das will ich nicht.«
»Dann eben etwas
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