Das Buch aus Blut und Schatten
einmauern lässt. Mit einem Fremden würde es mir leichter fallen, sagte ich mir. Es würde ganz einfach sein: Tür aufschlieÃen. Schränke und Schubladen voller Erinnerungen durchsuchen. Meinen sicheren Hafen Socke für Socke zerstören.
»Ich habe dich gar nicht bei der Trauerfeier gesehen«, sagte ich. Ich musste mich anstrengen, um nicht von ihm abgehängt zu werden, als wir durch den Innenhof gingen. Für jeden Schritt, den er machte, brauchte ich zwei.
»Ich dich aber«, erwiderte er. »Todunglücklich hast du jedenfalls nicht ausgesehen.«
»Was für ein Problem hast du eigentlich?«
Er sah mich immer noch nicht an. »Mein Cousin ist tot. Du hast es vielleicht schon gehört.«
»Chris hat dich nie erwähnt.«
»Und?«
»Und wenn du jetzt so tust, als hättest du ihm etwas bedeutet und ich wäre niemand, ist das deine Sache, aber ich finde das ziemlich traurig.«
»Du weiÃt anscheinend alles über ihn und die Leute, die ihm etwas bedeutet haben?«
»Stimmt genau«, gab ich zurück. »Und du warst nicht auf der Liste.«
»Du aber.«
Ich antwortete nicht.
»Warst du heimlich in ihn verliebt oder so? Brennende, unerwiderte Leidenschaft?«
»Ich habe einen Freund«, fuhr ich ihn an. Arschloch kam mir nicht über Lippen, aber er verstand, wie es gemeint war.
Er murmelte etwas.
»Was?«
»Dein Freund. Du wolltest wissen, was ich für ein Problem habe. Das ist mein Problem.«
Ja, klar. Max war für alle ein Problem. »Er warâs nicht.«
Sein Mund verzog sich wieder zu diesem Mutantenlächeln. »Das glaub ich dir jetzt einfach mal. Was für eine Erleichterung.«
Abrupt blieb ich stehen, im Schatten eines groÃen, massiven Gebäudes, dessen graue Steinfassade mit getrocknetem Vogelkot überzogen war. »Das ist es.«
14 Das Zimmer war ein Schlachtfeld.
»Dein Freund ist ein Chaot«, sagte Eli, der im Türrahmen stehen geblieben war. Ich drückte mich an ihm vorbei. Die Matratzen lagen auf dem Boden, aus den aufgeschlitzten Nähten quoll die Füllung heraus. Aus den beiden Kommoden und Schreibtischen waren sämtliche Schubladen herausgezogen worden, den schmuddeligen Linoleumboden bedeckte eine dicke Schicht aus T-Shirts, Bettlaken, Unterwäsche, Büchern und Notizblöcken.
Ich bekam keine Luft mehr.
»Setz dich hin«, schlug Eli vor.
»Wohin denn?« Ein ersticktes Lachen kam aus meiner Kehle. Einer der beiden Bürostühle aus Holz war umgekippt und lag auf der Seite, bei dem anderen fehlte ein Bein und die Lehne war zerbrochen.
Eli nahm meinen Arm und führte mich zu dem nackten Metallrahmen von Maxâ Bett. Wir setzten uns.
Ich schluckte. »Das war die Polizei.« Unter meinen FüÃen sah ich Maxâ marineblaue Bettwäsche. Ich mache sie schmutzig, schoss mir durch den Kopf. Max würde das nicht gefallen. Er wusch seine Bettwäsche öfter als die meisten anderen Collegestudenten oder zumindest öfter als Chris â für meinen Geschmack allerdings immer noch nicht oft genug. Das war etwas gewesen, über das wir manchmal aus einer Laune heraus gestritten hatten. Max wies mich immer sehr höflich darauf hin, dass ich, wenn mir seine Bettwäsche zu schmutzig sei, sie gern waschen könne, während ich antwortete, er sei ein sexistisches Schwein, worauf er erwiderte, wenn mir Sauberkeit wirklich so wichtig wäre, solle ich duschen gehen, aber hinterher ja nicht wieder meine schmutzigen Klamotten anziehen⦠Hätte ich sie doch gewaschen. Nur ein einziges Mal.
Eli schüttelte den Kopf. »Onkel Paul hat mit der Polizei gesprochen, um sich zu vergewissern, dass ich das Zimmer betreten kann. Sie sagten, sie hätten sich nur ein bisschen umgesehen und die Laptops mitgenommen. Alles andere hätten sie so gelassen, wie es war.«
»Dann haben sie gelogen.«
»Oder es war jemand anders hier. Jemand, der etwas gesucht hat.«
Ich dachte an das, was die Polizeibeamten zu mir gesagt hatten, dass Chris etwas im Safe seiner Familie versteckt hatte. Ich dachte an den Brief und wo, auf einer Skala für Dummheit von eins bis Todessehnsucht, der Versuch lag, ihn zu behalten.
»Er hat mit dir Kontakt aufgenommen, stimmtâs?«, fragte Eli.
»Was? Wer?«
»Er. Dein Freund. Die Polizei glaubt, er ist schon auf halbem Weg zur Westküste, aber vielleicht weiÃt du ja
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