Das Buch aus Blut und Schatten
schon.«
»Ja. Ich weiÃ.«
»Wer war es dann?«, fragte er.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
»Und was tust du, um es herauszufinden?«
15 Ich appelliere an euch, begann Maxâ gestohlener Brief.
Ich appelliere an alle meine Brüder, sich meinem Kampf anzuschlieÃen.
Wir werden zurückholen, was gestohlen wurde.
Was von Rechts wegen unser ist, wird dann durch das Blut unser sein.
Wir werden die Fremden in die Flucht schlagen, die unsere stolze Stadt niederreiÃen und nach ihrem eigenen Bild wiederaufbauen. Wir werden die Geistlichen stürzen, die uns unseren Gottesdienst verbieten und die Heiligsten unter uns in den Tod schicken. Durch die Gnade unseres Herrn werden wir unser Land zurückerobern. Den, der danach trachtet, uns unser Geburtsrecht zu nehmen, werden wir besiegen.
Wir streben nicht nach dieser Macht, um das Böse zu erlangen, sondern das, was gerecht ist, und das, was rechtens ist. SchlieÃt euch mir an und schwört bei Gott unserem Herrn, dass die Suche erst zu Ende ist, wenn unser Triumph naht.
Unterschrieben war es mit V.K., was mir genauso viel sagte wie der kurze Absatz darüber. Dieser war in einer Sprache geschrieben, in der es von Akzenten und Konsonanten nur so wimmelte, Tschechisch vielleicht, aber es hätte auch Klingonisch sein können. Ich fand nichts, was mir erklärte, warum Max die Seite hatte oder ob er mehr Sinn darin gesehen hatte als ich.
Die Briefe auf Chrisâ Seite des Zimmers waren nicht unterschrieben, doch die hastig hingeworfenen Worte stammten wohl nicht von V.K., dessen Handschrift viel gleichmäÃiger wirkte.
Es gibt keinen Anlass zur Sorge, begann der erste, der wie die anderen in Latein geschrieben war.
Das Mädchen hat keine Ahnung, dass wir sie beobachten. Und ich glaube, Ihr habt Euch geirrt. Sie handelt nicht aus eigenem Antrieb. Früher ist sie den Befehlen ihres Vaters gefolgt. Jetzt folgt sie Groot. Es dürfte nicht schwer sein, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ihre Mutter ist hier in Prag. Sie drängt das Mädchen dazu, zweckmäÃiger zu denken, sich eine Stellung im Haushalt zu suchen oder einen Ehemann. Der Kaiser hat ihnen alle Besitztümer genommen. Das Mädchen hält sich für eine Philosophin. Oder vielleicht eine Dichterin. Doch das sind nur Träume und das weià sie auch. Sie wird tun, was Ihr wollt, wenn Ihr bezahlt.
15. November 1598
Das Mädchen war Elizabeth. Es konnte gar nicht anders sein. Aber das spielte keine Rolle. Es war nicht so wichtig wie der Ausdruck auf Chrisâ Gesicht, als ich ihm beichtete, dass ich den Brief gestohlen hatte⦠während die ganze Zeit ein Bündel davon unter seinem Schreibtisch klebte, als wäre es das Werk des einfallslosesten Spions der Welt.
Es waren nur Briefe, sagte ich mir. Vielleicht hatten sie ja gar nichts zu bedeuten.
16 Das Whitman Center sah überhaupt nicht wie ein Krankenhaus aus. Jahrelang waren hier die berühmtesten depressiven Künstler, manischen Dichter, schizophrenen Genies New Englands und ein hoher Prozentsatz der reichsten Hypochonder der Gegend untergebracht worden und das Institut hatte schon vor langer Zeit gemäÃigte Therapieformen eingeführt, nach denen Patienten aus vornehmem Hause mit alles anderem als vornehmen Marotten trotzdem wie Gentlemen behandelt werden sollten, sodass das Whitman Center eher an einen College-Campus als an eine Irrenanstalt erinnerte. Gebäude C, ein dreistöckiges Haus mit Erkern und Spitzdach stand auf einem Hügel, protzte mit glänzenden Säulen vor seiner breiten Fassade, die dem Ganzen eine gewisse Würde verliehen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie im 19. Jahrhundert die Patienten in Petticoats und Zylinderhüten beim Tee gesessen hatten, während adrett gekleidete Ãrzte mit Spitzbart den Wahnsinn mit guten Umgangsformen aus ihnen herauskitzelten.
Erst als ich durch die Flügeltür ging, entstanden vor meinem inneren Auge andere Bilder, die irgendwo in meinem Hinterkopf gespeichert waren, vielleicht aus einem Diavortrag, den ich in meinem Psychologiekurs gesehen hatte, oder aus einem Horrorfilm: Ãrzte in weiÃen Frankenstein-Kitteln, die sich über Tragbahren beugten, während Elektroden zwischen ihren gekrümmten Fingern baumelten, Gummizellen, Zwangsjacken, ruhig gestellte Zombies, denen Speichel aus dem Mundwinkel rann, ohne jede Hoffnung.
Gebäude C war keine Horror-Show. Aber eine Teeparty
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