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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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anderes.«
    Â»Versuchst du gerade, nett zu sein?« Unter den Sachen auf Chris’ Schreibtisch war eine Rolle Packband gewesen. Ich fing an, die Kartons zuzukleben.
    Er sagte ziemlich lange nichts mehr.
    Â»Du hast recht. Ich hab ihn gar nicht gekannt«, meinte er schließlich. Er stellte sich neben mich und drückte die Laschen nach unten, während ich das Packband darüberklebte. »Als wir klein waren, haben wir manchmal zusammen gespielt, aber ich glaube nicht, dass wir uns sonderlich sympathisch waren. Dann ist er weggezogen, und das war’s.«
    Â»Warum bist du dann hier?«
    Eli hob den Kopf und sah mich an. Wir starrten uns über den Karton hinweg an. Seine Augen waren strahlend blau. »Willst du die Wahrheit wissen?«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Sie haben mich gezwungen.«
    Â»Deine Tante und dein Onkel?«
    Â»Sie. Meine Eltern. Alle. Sie haben es nicht fertiggebracht. Ich musste es machen, weil ich ihn nicht gekannt habe.«
    Â»Weil es dir egal ist.«
    Das Blut schoss ihm in sein blasses Gesicht. »Jemand hat meinen Cousin ermordet«, sagte er schließlich. »Das ist mir nicht egal.«
    Die Art, wie er sich vor den Karton kniete, kam mir irgendwie bekannt vor. »Warst du das neulich hinter dem Baum? Hast du mich beobachtet?«
    Â»Wovon redest du da? Verfolgt dich jemand?«
    Â»Vergiss es.« Vielleicht war es Wunschdenken gewesen. Merkwürdiger Cousin wäre immer noch besser als mordender Psychopath. »Lass uns von hier verschwinden.«
    Â»Ich kann gehen«, schlug er vor. »Wenn du noch eine Weile bleiben willst.«
    Â»Nur, um das klarzustellen…«
    Â»Ja. Ich versuche, nett zu sein.«
    Â»Ich glaube, du warst mir sympathischer, als du ehrlich warst.« Ich wollte bleiben, ich wollte mich in Max frisch gemachtem Bett zusammenrollen und die Augen schließen, einatmen, was von den Gerüchen nach Max noch übrig war, das nach Zitrone duftende Waschmittel und das Zimtshampoo, das er nur unter Protest verwendete, weil ich es so gern mochte. Und dann würde ich endlich wieder schlafen können, aber auch nur vielleicht.
    Â»Dann nimm wenigstens das hier.« Völlig unvermittelt hielt er mir einige Seiten Papier hin, wobei er aussah, als würde er es sich gleich wieder anders überlegen.
    Â»Was ist das?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab sie in einer Mappe gefunden, die unter Chris’ Schreibtisch geklebt war. Als du im Bad warst.«
    Â»Und das wolltest du mir nicht sagen?«
    Der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ auf irgendetwas schließen, aber er sah nicht so aus, als ob er sich schämte. »Ich sag’s dir doch jetzt.«
    Ich riss ihm die Seiten aus der Hand. Sie waren verblichen und steif. Alt. Vielleicht, so dachte ich, während ich mich zwang, sie einzustecken, bevor ich sie mir genauer ansehen konnte, so alt wie die Seite, die ich aus der Sammlung des Hoff gestohlen hatte, so alt wie die Seite, die ich in Max’ Spiralblock gefunden hatte, älter, viel älter als alles, was Chris eigentlich hätte besitzen sollen. Und sie waren unter seinem Schreibtisch festgeklebt gewesen, als hätte er sie vor Max versteckt. Vor mir.
    Nichts ergab mehr einen Sinn.
    Â»Wie kommst du darauf, dass ich sie haben sollte?«, fragte ich.
    Â»Chris’ Eltern bedeuten sie nichts.«
    Â»Aber mir schon? Meinst du das damit?«
    Â»Wenn du sie nicht haben willst…«
    Â»Ich will sie haben.«
    Â»Wie du willst. Und jetzt lass uns gehen. Ich schicke dann jemanden, der seine Sachen abholt.«
    Den ganzen Nachmittag lang hatte ich versucht, seiner Gegenwart zu entkommen, doch jetzt zögerte ich, weil ich wusste, dass ich Eli sehr wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Und mit ihm würde wieder ein Stück von Chris verschwunden sein. Mir kam der Gedanke, dass ich Chris’ Eltern vermutlich auch nie wiedersehen würde. Oder sein Haus. Und dank mir war sein Zimmer im Wohnheim jetzt ganz offiziell wieder frei.
    Plötzlich wurde mir klar, warum meine Eltern so versessen darauf waren, unser Haus zu behalten. Manchmal erfüllten Schreine einen Zweck.
    Eli blieb auf der Treppe vor dem Wohnheim stehen. Vielleicht war ich nicht die Einzige, die noch bleiben wollte. »Nehmen wir mal an, dass es nicht dein Freund war, nur so, um den Gedanken mal durchzuspielen, und dass er sich jetzt irgendwo versteckt, weil er unschuldig ist, oder dass er… du weißt

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