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Das Buch Der 1000 Wunder

Titel: Das Buch Der 1000 Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Artur Fuerst , Alexander Moszkowski
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explodierenden Kräften, die sie je nach den Widerständen des Metallmantels auseinanderreißen.
    So oder so: der Zusammenhang ist gelöst, und wenn die Bombe bis zum Augenblick der Sprengung an eine bestimmte Flugbahn gebunden war, so verfolgen die einzelnen Sprengstücke nunmehr ihre eigenen Wege; nichts hält sie mehr zusammen.
    Es wird sich das Überraschende ergeben, daß diese Ansicht den Tatsachen widerspricht, daß die einzelnen Sprengstücke einen genau nachweisbaren Zusammenhang bewahren; ja, noch mehr: daß sie in gewissem Sinn die ursprüngliche Flugbahn fortsetzen.
    Die Mechanik bewirkt hier etwas anscheinend ganz paradoxes: die Explosion, die den Mantel zerreißt, ist nicht imstande, die Flugbahn zu zerstören, im Gegenteil: sie erhält sie mit peinlicher Genauigkeit und zwingt die zerstreuten Teile, ihr zu gehorchen.
    Und hieraus wird weiterhin folgen: die Bombe kann garnicht nach unbedingter Willkür platzen. Nur ein Bruchteil des geometrisch Denkbaren wird auch mechanisch möglich. Stellen wir uns einen Kriegsmaler vor, der die in der Luft platzende Bombe darstellt. Oft genug ist dieser Vorgang mit Stift 237 und Pinsel festgehalten worden, und jeder einzelne Fall entspricht gewiß dem allgemeinen Kriegsbild, wie es dem Künstler aus Anschauung oder Phantasie vorschwebt. Auch der Beschauer wird in der Regel nichts daran auszusetzen finden. Und doch kann man mit größter Bestimmtheit behaupten: so wie es sich im Bild darstellt, ist es in der Natur unmöglich. Es wäre der unwahrscheinlichste Zufall von der Welt, wenn der Maler gerade diejenige Anordnung getroffen hätte, die von der unfehlbaren, auf ganz Bestimmtes gerichteten Mechanik den Sprengstücken vorgeschrieben wird.
    Wenn es im »Faust« heißt: »Die Hölle selbst hat ihre Rechte« – so behält dieses Wort im Fegefeuer sausender Granaten seine Gültigkeit; das zugrunde liegende Gesetz erstreckt sich auf alles, was geworfen, geschleudert, geschossen, gefeuert wird. Es lautet ganz einfach:
    Der Schwerpunkt bleibt unter allen Umständen erhalten.
    Platzt das Projektil in der Luft, so hört der Schwerpunkt darum nicht auf zu existieren. Er besteht vielmehr unverändert zu Recht, als ein wissenschaftlich zu bestimmender Punkt im Raum; außerhalb der einzelnen Splitter, aber nicht außerhalb ihrer Gesamtheit. Und dieser Schwerpunkt fährt fort, die dem Geschoß ursprünglich eingeprägte Bahn zu beschreiben. Danach haben sich die Stücke auch nach der Lösung ihres materiellen Zusammenhangs unweigerlich zu richten. Man kann auch hier wie bei dem Rosen- und Palmenwunder im Abschnitt 85 von einem »vielfach zerteilten Individuum« sprechen.
    Die Stücke dürfen also keine Sonderbahnen einschlagen, die dem gemeinsamen Schwerpunkt sein Vorhaben vereiteln. Sie bleiben korrespondierende Mitglieder unter dem Zwang eines Statuts, das ihnen die einzige Verpflichtung auferlegt: für das ungehinderte Fortkommen ihres Schwerpunkts zu sorgen.
    Man kann sich der Sache bildlich durch ein Gleichnis nähern, das zwar wie alle Gleichnisse hinkt, aber doch eine gewisse Anschaulichkeit gewährt, wie bei Gellert der Hinkende auf dem Rücken des Blinden. Eine zu bestimmten Zwecken tagende Gesellschaft, eine Generalversammlung, wird durch ein unvorhergesehenes Ereignis auseinandergesprengt, etwa durch ein plötzlich ausbrechendes Feuer. Die Mitglieder stieben auseinander, bleiben aber durch die Interesseneinheit auch ferner verbunden: ihr gemeinsamer Schwerpunkt wird durch die örtliche Zersprengung des Augenblicks weder vernichtet noch verschoben. Selbst wenn das Tagungsprotokoll verbrannt wäre, würde das Gedächtnis der Versprengten ausreichen, um diese Einheit aufrechtzuerhalten.
    So besitzen auch die Sprengkörper der Granate ein Gedächtnis für ihre ursprüngliche Einheit, für den gemeinschaftlichen Schwerpunkt; nach Aristotelischer Auffassung: sie »suchen« ihre Stelle. Sie bleiben Teile eines Systems 238 wie die Planeten, Kometen und Meteore des Sonnensystems, das sich als Ganzes nach einem bestimmten Punkt im Weltenraum, nämlich nach dem Sternbild der Leier hin bewegt. In dieser Bewegung scheint Willkür zu herrschen, da der Momentwille eines Monds, einer einzelnen irrenden Sternschnuppe ganz gewiß nicht der großen Hauptrichtung entspricht. Aber ein geheimer Zwang bändigt auch diesen Eigenwillen der Splitter. Sie alle zusammen verharren unter der Diktatur ihres gemeinsamen Schwerpunkts, und dieser bewegt sich auf unverrückbarer Linie nach dem

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