Das Buch Der 1000 Wunder
dieser Bewegung merkt unser Auge natürlich nichts. Denn es fehlt uns der in absoluter Ruhe befindliche archimedische Punkt, von dem aus wir die Bewegung wahrnehmen könnten; wir selbst wandern ja mit hinauf und hinunter, und alles um uns herum gleichfalls. Der Schiffer aus hoher See 310 merkt es ebensowenig, wenn unter seinem Fahrzeug die Flut eintritt. Erst an der Küste wird das Phänomen sichtbar, denn der Flutberg des Wassers kann eine Höhe von zwanzig Metern erreichen, während das Festland, wie gesagt, nur um wenige Zentimeter nachgibt.
Die Tatsache der Deformierung der gesamten Erde durch die Mondanziehung ist wissenschaftlich einwandfrei festgestellt. Gewisse Messungen haben ergeben, daß man dem Erdball ungefähr die Festigkeit und Elastizität einer gleich großen Stahlkugel zusprechen kann. Es ist folglich eine für irdische Verhältnisse ganz ungeheure Kraft, mit welcher der Mond an der Erdkruste zerrt.
Doch man darf die Erdbewegung, die unser Trabant hervorruft, auch nicht überschätzen. Erstaunlich genug ist es zwar, daß diese Flutwelle im festen Boden überhaupt vorhanden ist, aber was bedeuten dreißig Zentimeter gegenüber dem Durchmesser der Erde, der mehr als zwölfeinhalb Millionen Meter lang ist! Man denke sich die Nordsee in ein Gefäß mit festen, völlig unnachgiebigen Wänden eingeschlossen und in das Wasser eine Stecknadelspitze eingetaucht. So unbedeutend wie die Erhebung des gesamten Wasserspiegels der Nordsee durch das Eintauchen dieser Stecknadelspitze, ist im Verhältnis die Verlängerung des Erddurchmessers durch die Mondflut. Von meßbaren Verschiebungen oder Spannungen, die durch die wechselnde Deformierung im Erdkörper auftreten, kann also keine Rede sein.
Die Großartigkeit des Phänomens bleibt trotzdem bestehen als ein Beweis für die Einheitlichkeit der Naturgesetze im ganzen Weltall.”
223. Der Tod und die Entropie
Quellen: F. Henning: »Entwicklung der Thermodynamik«. – F. Hasenöhrl: »Die Erhaltung der Energie und die Vermehrung der Entropie« in »Kultur der Gegenwart«, erster Band, dritte Abteilung. Verlag B. G. Teubner, Leipzig, 1915.
Wenn die Welt einmal untergehen soll, so wird sie unter verschiedenen Untergängen, die ihr seit der Apokalypse der Glaube, die Phantasie und die Erkenntnis zur Verfügung stellten, reichliche Auswahl haben. Tod durch Verbrennung, durch Zusammenstoß der Weltkörper, durch Kometenprall, durch Vergletscherung, durch Zerstäubung – alles wurde ihr angedroht, und es fragte sich nur, welche Prophezeiung die anderen überholen würde.
Zum Überfluß hat die neuere Physik einen neuen Modus aufgestellt und diesen mit Beweisen ausgerüstet, die an Schärfe alle früheren überragen. Nach diesem Modus wird die Welt am Entropie-Tod sterben.
Was ist Entropie?
Die meisten Leser würden die Lektüre abbrechen, wenn wir ihnen hier eine 311 genaue Erklärung vorsetzen wollten. Denn es handelt sich um eine höchst verwickelte Angelegenheit der Thermodynamik, die zu schwer zu erfassenden Formeln führt. Verzichten wir daher auf die Exaktheit des Ausdrucks und stellen wir einfach fest: die Entropie ist eine nur dem mathematischen Verstand erkennbare veränderliche Größe. Ihre Veränderlichkeit in steter Abhängigkeit von allen Bewegungen, allen Geschehnissen in der Welt ist so geartet, daß die Größe selbst stets größer und größer wird. Sie strebt einem Maximum zu und muß dieses einmal erreichen.
Und die physikalische Ausdeutung besagt: das Maximum der Entropie ist gleichbedeutend mit der Erschöpfung aller Bewegungserscheinungen der gesamten Welt. Alles was wir unter Körpergestaltung, organischem wie unorganischem Leben und Dasein, Himmelsmechanik und irdischem Vorgang, überhaupt unter sinnfälliger Erscheinung verstehen, hört auf. Übrig bleibt nur ein gestaltloses, vernebeltes Chaos mit einem gewissen Besitztum von innerer Wärme. Es ist ein Weltentod, der mit dem höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit, d. h. gewiß, eintreten muß, da die unheimliche Größe, Entropie genannt, selbst auf einer zwingenden Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruht.
Die Physiker Thomson , Clausius und Boltzmann sind die Väter oder Pathen der Entropie. Gesehen oder dargestellt hat sie keiner; nur erschlossen und definiert haben sie dies unheimliche Etwas. Einfach hingeschrieben sieht es nicht einmal sehr schrecklich aus, nämlich so:
Die Buchstaben beziehen sich auf Wärmemenge und absolute Temperatur, während die vorgezeichnete Schlange
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