Das Buch Der 1000 Wunder
scharfen Gegensatz hierzu bildet die Wirkung des Atropins , das als hauptsächlich wirkender Bestandteil in der Belladonna oder Tollkirsche 54 enthalten ist. „Ein mit Binz befreundeter rheinischer Schulmann träufelte sich gegen eine Augenentzündung eine Atropinlösung allzu energisch ein. Von dem Tränennasenkanal aus kam bald eine genügende Menge in den Schlund, wurde hier verschluckt und erzeugte allmählich die Anfänge des Atropinrauschs. »Ich wurde toll im Kopf,« so schrieb er darüber, »ein entsetzliches Gefühl der Unsicherheit und Angst kam über mich, ich wußte nicht, ob ich träume oder wache, ob die gräulichen Erscheinungen vor mir wirklich seien oder nur Phantasmen.« Taylor berichtet in seinem Werk über die Gifte ebenfalls von gespensterartigen Visionen, phantastischen Wahngebilden und durchdringenden Angstrufen, die sich in die Umnebelung des Gehirns durch das Gift der Tollkirsche einmengten.
Mit den wüsten und schreckhaften Traumvorstellungen der Belladonna kann man jenen somnolenten Zustand vergleichen, der sich in Fällen von Säuferdelirium ausprägt. Kleine, lebhafte, unangenehme Tiere bedecken das Bett des Deliranten. Sie klettern auf sein Haupt und suchen ihn zu verzehren, sie lassen ihn nicht zu Schlaf kommen, sie folgen, wohin immer er entfliehen mag, unzertrennlich seinen Fersen und seinem Lager. Statt der kleinen Tiere sind es oft Zwerge und Kobolde mit derselben Form des Angriffs und der Behendigkeit.
Von hohem Interesse und eigenartiger Ausbildung sind die Träume, die der Haschisch über uns bringt. Man bereitet ihn aus dem indischen Hanf zur Zeit der Blüte und verkauft ihn im südlichen Orient unter mannigfacher Form meistens als trockenen Extrakt, in runde Stückchen gepreßt. Wie der Einfluß des Haschisch in einem hochgebildeten europäischen Gehirn sich gestaltet, erzählt uns Professor von Schroff aus Wien recht anschaulich:
»Ich nahm 7 Zentigramm abends um 10 Uhr, legte mich zu Bett, las, noch eine Zigarre nach gewohnter Weise rauchend, gleichgiltiges Druckwerk bis 11 Uhr und legte mich dann mit der Idee zur Ruhe, daß diese Dosis wohl zu klein gewesen sein mochte, da sie gar keine Erscheinung hervorbrachte, und mein Puls gar keine Veränderung zeigte. In demselben Augenblick fühlte ich ein starkes Rauschen nicht nur in den Ohren, sondern im ganzen Kopf; es hatte die größte Ähnlichkeit mit dem Geräusch des siedenden Wassers, gleichzeitig umfloß mich ein wohltuender Lichtglanz, der den ganzen Körper durchdrang und ihn durchsichtig erscheinen ließ. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit durchlief ich ganze Reihen von Vorstellungen bei gesteigertem Selbstbewußtsein und erhöhtem Selbstgefühl. Am andern Morgen war mein erster Gedanke beim Erwachen, die nächtliche Szene im Gedächtnis zu reproduzieren; allein von all den erlebten Herrlichkeiten trat nichts in die Erinnerung, außer was ich eben berichtet habe.«”
Von lebhaften Träumen durchzogen ist auch der Schlaf, der durch die 55 Chloroformnarkose hervorgerufen wird. „Flüchtig wie die märchenhaften Geister der Luft bewegt sich das Chloroform von unserm Mund nach den Lungen, durch das Blut nach dem großen Gehirn hin. Es lagert auf den kleinen Werkstätten unseres Bewußtseins, sie anfangs erregend, bald aber in eine solche Erstarrung versetzend, daß die heftigsten Reizungen der Außennerven unter dem Instrument des Chirurgen hier die Grenze ihrer Schwingungen finden. Das Bewußtsein erfährt nichts von ihnen. Und doch bringt der Traum des Chloroformierten uns Kunde, daß der Schlaf oft nur ein partieller ist. Besonders scheinen es die Gestalten des Arztes und seiner Helfer zu sein, also die jüngsten Bilder vor dem Schließen der Augen, die in der einen oder andern, nach der Individualität des Chloroformierten sich richtenden Weise seinen Traum beleben. Und noch so heftig mag der Traum des Chloroformierten sein, meist gewahrt man, daß nach Beendigung der Operation, bei eingetretenem Erwachen der Operierte sich aufrichtet, mit seinen Augen den leitenden Arzt sucht und ihn fragt. »Fangen Sie bald an, Herr Doktor?« Erinnerung an die Traumbilder ist oft vorhanden, oft fehlt sie.
Bevor man das Chloroform zum Einschläfern anwenden lernte (1849), war zwei Jahre lang der Äther zum nämlichen Zweck im Gebrauch, und manche Operateure wenden ihn noch heute an, weil er zwar weniger rasch aber auch weniger gefahrvoll narkotisiert. Der von ihm bewirkte tiefe Schlaf ist ebenfalls von Träumen durchzogen.
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