Das Buch Der 1000 Wunder
ist die Selenzelle eingeschaltet. Sobald auf diese Licht fällt, macht sich das durch Änderung des Tons im Hörer bemerkbar. Der Blinde kennt den Lichtton sehr bald, und da auf die Selenzelle durch den Lichtfänger nur von vorn Licht fallen kann, so weiß er auch sofort die Richtung der Strahlen. Durch leichtes Drehen des Kopfs kann er das Licht aufsuchen und ist auch imstande dessen Bewegungen zu folgen.
Zu gleichem Zweck benutzt Professor Zehnder die Wärmeempfindlichkeit der Haut. Er läßt auf eine bloße Hautstelle durch eine Linse brennglasähnlich die auffallenden Lichtstrahlen konzentrieren, und er glaubt Blinde leicht so erziehen zu können, daß sie nicht nur das Licht als Wärmeeindruck überhaupt empfinden, sondern auch die gröbsten Umrißformen, wenigstens von sehr scharf beleuchteten Gegenständen, wahrnehmen können. Vielleicht wird es ihnen dadurch möglich werden, sich bei scharfem Sonnenlicht im Freien selbständig zu orientieren.
39. Künstlicher Haarwald
Quelle: »Die Kosmetik«. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig 1916.
Als Bismarck von einer Verehrerin um eine Haarlocke gebeten wurde, erwiderte er bekanntlich: »Das ist platterdings unmöglich.« Ein Bismarck der Zukunft wird einem solchen Wunsch gegenüber sich vielleicht schon entgegenkommender verhalten können, und zwar vermöge einer Erfindung, die man für einen Scherz nehmen könnte, wenn nicht ein so ernster Verlag wie der Teubnersche in Leipzig sie in seine neuesten Publikationen aufgenommen hätte. Es heißt dort:
Die Erfindung ging in der letzten Zeit von Budapest aus. Nachdem schon vorher Versuche von einem türkischen Arzt mit der künstlichen Einpflanzung von Haaren gemacht wurden, haben dann Szekely und Havas im großen diese Idee durchgeführt und sind zu sehr bemerkenswerten Resultaten gekommen. Sie ziehen vermittels eines Goldhäkchens feinstes zu einer Schlinge geknüpftes Frauenhaar unter strengster Asepsis in die Kopfhaut ein und erzielen durch diese Vornahme, die bei genügender Übung mit großer Schnelligkeit vor sich gehen soll, eine vollständige Bepflanzung der vorher kahlen Stellen.
Danach wäre die langgesuchte Methode, gewisse hochgelegene Ödflächen des menschlichen Körpers künstlich aufzuforsten, nunmehr glücklich gefunden und das Absalomische Ideal für die glänzendsten Denkerköpfe wirklich erreichbar.
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40. Ein Schritt vom Wege
Für ein Raumwunder, das sich vielleicht auch anderswo wiederholen könnte, bietet der Markusplatz in Venedig ein unvergleichliches Experimentierfeld. Der Versuch ist dort oft genug angestellt worden, immer mit demselben – negativen! – Erfolg.
Man nimmt etwa am Punkt A Aufstellung, um den Platz mit geschlossenen Augen in gerader Linie zu durchschreiten.
Der Idealweg würde der punktierten Linie entsprechen; aber selbst wenn man vom Weg abirrte, müßte man doch die gegenüberliegende, die Domseite, erreichen können. Denn der Marsch ist nicht allzulang, er beansprucht nur zwei Minuten, und so viel Orientierung in gerader Linie traut man sich zunächst auch mit geschlossenen Augen zu, daß man nicht allzuweit abzukommen meint. Man hat ja gegenüber 82 Meter Breite zur Auswahl! Die ersten zehn, fünfzehn, auch zwanzig Schritte gelingen auch meistens ganz nach Programm. Allein plötzlich erfolgt eine kleine seitliche Schwenkung, die sich rasch weiterbiegt; und wenn der Wanderer die Augen aufschlägt, so erblickt er sich zu seinem Erstaunen auf dem Weg zu den Neuen oder Alten Prokuratien, wo er beim Punkt B oder C landen würde. Ein auch nur annäherndes Überqueren des Platzes in vorgefaßter Richtung ist noch niemals Irgendeinem geglückt.
Aber der Versuch hat neben dem negativen Erfolg auch ein positives Ergebnis, nämlich eine Aufklärung über die Koordinationsfähigkeit des Menschen hinsichtlich seiner Bewegungen im Raum. Er zeigt, in wie hohem Grad wir geneigt sind, unsere Anpassung selbst an die elementarste geometrische Vorstellung zu überschätzen, sobald wir sie aus dem Gehirn auf eine Muskeltätigkeit projizieren. An anderer Stelle dieses Buchs (Abschnitt 80) wird gezeigt, daß die »absolute« Raumempfindung im Ohr ihren Sitz hat. Zur »relativen« Orientierung indeß ist, wenigstens beim normalen Menschen, selbst bei geringen Abmessungen die Mitwirkung des Gesichtssinns unerläßlich. Im Gehirn allein ist nichts vorhanden, was auch nur über wenige Schritte die Funktion eines Kompasses übernimmt.
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41. Lokomotiven-Scheu
Als die Eisenbahn bereits
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