Das Buch Der 1000 Wunder
Dieffenbach , der berühmte Berliner Chirurg, der in Deutschland mit unter den ersten ätherisierte, schildert sie in lebhaften Farben. Ohnmächtig, albern, tobend oder heiter kann der Charakter des Ätherrauschs sein.
Die glänzende Schilderung Dieffenbachs von den Wonnen des Äthertraums hat in einem literarisch bekannt gewordenen Fall einen jungen Mann zum Äthermißbrauch getrieben. Er war mit philosophischen und ästhetischen Studien beschäftigt und gab dabei einem Hang zu theologisch-mystischen Betrachtungen allmählich nach. Der Äthertraum schien ihm die richtige Bahn, um seinen Geist von der schweren Materie zu befreien, und in der Tat, es gelang ihm gleich beim ersten Mal. Er legte sich allein in seiner Stube auf das Sopha und atmete den Äther vom Taschentuch ein. Alsbald schwand ihm die Besinnung. Er hatte eine Reihe sehr lebhafter Wahnbilder, wie es scheint hauptsächlich aus religiösen Vorstellungen zusammengesetzt, in denen aber auch wie beim Haschischrausch das Hinwegsetzen über Stoff, Zeit und Raum eine große Rolle spielte. Ganze Welten glaubte er zu durchmessen, unendliche Zeiten durchlebt zu haben, und doch lehrte ihn die Länge der brennenden Kerze beim Erwachen, daß er kaum eine Viertelstunde betäubt gewesen sein konnte.
Leider war er von dem Ausgang dieses ersten Unternehmens nicht befriedigt, 56 denn die Betäubung war gerade in dem Augenblick gewichen, als er dem Ziel seiner Wünsche nahe gekommen zu sein glaubte. Es war natürlich, daß er den Ausflug in die farbenprächtige Unendlichkeit wiederholte, aber die Traumwelt war nicht mehr so glänzend und bilderreich, wie die jener ersten Narkose, und wie oft er nun auch durch immer größere und häufigere Dosen Äther sie wieder heraufzuzaubern sich bemühte, sie wollte nicht wieder erscheinen.
Bald wurde das Experiment zur Gewohnheit, der anfangs spärlich angestellte Versuch zum unwiderstehlichen Trieb, und jene ursprüngliche Sehnsucht nach dem Erhabenen und Unendlichen erstickte in der Gier nach einem Reiz, der längst alle Eigenschaften einer gemeinen sinnlichen Leidenschaft angenommen hatte. Nur anfangs »ätherte« er in seinem Zimmer, bald ließ es ihm auch außerhalb keine Ruhe. Das mit Äther getränkte Taschentuch vor Mund und Nase schwanke er durch die Straßen Berlins; von einer Apotheke zur andern eilend, kaufte er sich den Äther in kleinen Quantitäten. Zuletzt stieg er bis zum Verbrauch von 2 bis 2,5 Pfund für den Tag, bis er endlich zerrüttet und verkommen in der Charité Hilfe suchte, ein unrettbares Opfer seiner Lust zu träumen und seines Traummittels.”
36. Der elektrische Tod
Quelle: Artur Fürst , Aufsatz: »Der elektrische Tod« im »Berliner Tageblatt« vom 6.7.1914. Z.
Die Wirkungen des elektrischen Stroms auf den menschlichen Körper sind noch nicht völlig erforscht. Man hat bisher sehr wechselvolle und überraschende Erscheinungen auf diesem Gebiet beobachtet.
„Es ist vorgekommen, daß ein Strom von fünfzig Volt, also von einer recht niedrigen Spannung, bereits tödlich gewirkt hat, und daß Menschen, durch deren Körper mehrere tausend Volt geflossen sind, trotzdem das Leben behielten. D'Arsonval erzählt von einem Telegraphenarbeiter, der auf einem Gestänge saß und durch einen herabfallenden Telegraphendraht, den er in der Hand hielt, mit einer Leitung von 4500 Volt in Berührung kam. Er wurde sofort betäubt. Als man ihn jedoch herunterholte, kam er, wenn auch nach mancherlei Bemühungen, wieder zum Bewußtsein, obgleich der Strom mehrere Minuten lang durch seinen Körper hindurchgegangen war.
Wegen des Widerstands, den der menschliche Körper selbst bietet, sucht der Strom stets über dessen Oberfläche hinwegzugehen, ohne in die Tiefe zu dringen. Wenn jemand naß aus einem Bad steigt und gleich darauf in eine Hochspannungsleitung gerät, so kann er vielleicht einmal bei einer Spannung am Leben bleiben, die ihn sicher getötet hätte, wenn seine Haut trocken gewesen wäre. 57 Denn die Wasserfläche auf der Haut ist für den Strom ein weit bequemerer Durchgangsweg als das Material des Körpers selbst. Eine gleiche Sicherungsrolle vermag starker Schweiß zu spielen.
Man führt hieraus auch die häufigen Mißerfolge zurück, die sich in Amerika bei der Hinrichtung im elektrischen Stuhl gezeigt haben. Hierbei benutzt man eine so hohe Spannung, daß der Strom, wenn er unter – im Sinn dieses Falls – günstigen Umständen durch den Körper geschickt wird, sicher tödlich wirken muß. Aber
Weitere Kostenlose Bücher