Das Buch Der 1000 Wunder
Experimentator die an den Hund zu richtende Bild-Frage nicht kannte. Nur dieser selbst vermochte die Karten oder Bilder zu sehen, die er erläutern sollte.
Frage: eine Ansichtskarte mit einem Dachshund. Antwort: »dgl« (degel = Teckel).
Ergänzungsfragen: »Sehr gut. Bist du auch ein Teckel?« – »hund«.
»Ja, aber der Teckel ist doch auch ein Hund, ist kein Unterschied zwischen dir und dem Teckel?« – Antwort: »andr fus«. Usw.
Wir müßten den verfügbaren Raum erheblich überschreiten, wenn wir weiter auf die in Fülle vorliegenden Zeugnisse eingehen wollten. Natürlich fehlen auch nicht die Gegenstimmen, die von »Täuschung«, »Selbsttäuschung«, »Instinkt«, »Dressur«, »optischen Hilfen« zu vermelden wissen. Lebten die Philosophen der Vorzeit heute, so fänden sie ein unübersehbares Debattierfeld. Cicero, Descartes, vielleicht auch Aristoteles würden sich auf die Seite der Gegner schlagen, Plutarch, Plotin und namentlich Plinius würden die neuen Tierwunder mit froher Genugtuung als Stützen ihrer eigenen Lehrmeinung begrüßen. Aber vielleicht käme selbst Descartes auf Grund vorerwähnter Versuche zu dem Verdacht, daß mit dem Wort »Dressur« das Rätsel nur auf ein anderes Feld geschoben, indes nicht gelöst werden kann. Die Stärke des Tierintellekts, auf den sich solche Dressur gründen könnte, würde gegenüber der landläufigen Auffassung vom beschränkten Tierverstand nur ein neues Rätsel bedeuten. Und schließlich bliebe nur ein Ausweg: anerkennen, daß die Tierpsychologie sich heute überhaupt erst in den vorbereitenden Anfängen befindet und deshalb auf verbreiterter Grundlage weiter experimentieren muß, anstatt sich in Wortgefechten zu erschöpfen.
Im Grunde genommen steht die Frage: Instinkt? Überlegung? nicht höher als die vormals in Scholastikerkreisen gewälzte: ist die Fledermaus ein Vogel oder nicht? Und als Vorbedingung weiterer Erörterung sollte noch immer gelten, was John Locke dazu bemerkte: man möge sorgfältig prüfen, ob nicht der größte Teil solcher Streitigkeiten einen rein verbalen Charakter trage, und ob nichts wenn die Ausdrücke genau definiert und in ihrer Bedeutung auf bestimmte 77 einfache Ideen, die sie vertreten oder vertreten sollten, zurückgeführt würden, jene Streitigkeiten von selbst aufhören und unverzüglich verschwinden müßten.
Gänzlich und schroffstens abzuwehren aber ist die Annahme, daß bei jenen Versuchen, zumal den Elberfeldern, eine irgendwie beabsichtigte Täuschung mitgewirkt haben könnte. Wie dürfte sich ein solcher Verdacht hervorwagen, nachdem Professor Wilhelm Ostwald , eine Leuchte deutscher Wissenschaft, folgendes bekannt hat: »Während Darwin den ununterbrochenen biologischen Zusammenhang zwischen den allerniedrigsten Organismen und dem Menschen gezeigt und die alte Sage, daß der Mensch schon körperlich etwas wesentlich anderes sei als das Tier, dadurch endgiltig zu Fall gebracht hat, liegt hier (bei den Elberfelder Begebenheiten und dem Krallschen Buch) ein ernsthafter und in höchstem Maß beachtenswerter Versuch vor, den gleichen Zusammenhang auf dem geistigen Gebiet nachzuweisen . . . Die Versuche sind von andern zum Teil kontrolliert, zum Teil mit denselben Tieren fortgesetzt worden, und dem Berichterstatter hat einer von den Mitarbeitern, Professor Gehrike von der Physikalisch-technischen Reichsanstalt, brieflich die Versicherung gegeben, daß die berichteten Tatsachen vollkommen der Wahrheit entsprechen .«
53. Der kluge Hans
Mit vollkommener Skepsis, also in scharfem Gegensatz zu den im vorigen Abschnitt wiedergegebenen Ansichten, betrachtet der bedeutende Berliner Psychologe Dr. Albert Moll die denkenden Pferde. Über eins solcher Pferde, dessen Leistungen lange Zeit hindurch in ganz Berlin Tagesgespräch waren, schreibt er:
„»Das lesende Pferd«, »Das Wunderpferd«, »Der kluge Hans«, »Das rechnende Pferd«, so lauteten die Überschriften von großen Zeitungsartikeln im Jahre 1904. Ein Berliner Pferdeliebhaber, Herr von Osten , glaubte, daß man ein Pferd in ähnlicher Weise wie den Menschen unterrichten könne. Die Leistungen des Pferds waren nach einem damaligen Bericht die folgenden: das Pferd beherrschte die Zahlenreihe von 1 bis 100 mit absoluter Genauigkeit, es konnte bis zu 100 Gegenständen zählen, es löste Rechenaufgaben aller vier Spezies, verstand auch mit Brüchen zu rechnen und Wurzeln zu ziehen, es konnte lesen, kannte das Zifferblatt der Uhr, es unterschied die Farben,
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