Das Buch Der 1000 Wunder
beseitigen. Man hat berechnet, daß von einem großen Ameisenhaufen an einem Tag bis zu hunderttausend Insekten getötet werden. Auch auf Leckerbissen sind die Tiere sehr erpicht. So halten sie in ihren Nestern Blattläuse, in deren Exkrementen Zuckersubstanz enthalten ist, als Haustiere, bringen ihnen geeignete Nahrung und melken sie dafür durch Streicheln mit den Fühlern.
Die fortwährenden Kriege, welche die Ameisen infolge ihrer stark entwickelten Streitlust führen, haben die Ausbildung einer besonderen Soldatenkaste veranlaßt. Es sind das Individuen mit enorm entwickeltem, oft stark gepanzertem Kopf und ausnehmend kräftigen Beißwerkzeugen. Bei ihren regelrechten Raubzügen brechen die besonders kriegerischen Amazonen-Ameisen in fremde Nester ein, rauben dort die Brut und lassen sie dann in ihren eigenen Nestern ausschlüpfen. Die so in fremdem Bezirk geborenen Tiere müssen den Amazonen alsdann als Sklaven dienen, denn diese selbst arbeiten nicht, sind nicht einmal zur selbständigen Nahrungsaufnahme befähigt. Sie müssen von ihren Sklaven gefüttert werden, sonst verhungern sie inmitten reichlicher Nahrung. Aber sie sind gewaltige Krieger, was ihnen alle anderen Fähigkeiten ersetzt.
87
60. Die Fallgruben des Ameisenlöwen
Quelle: Dr. Franz Doflein: »Das Tier als Glied des Naturganzen«, zweiter Band des Werks: »Tierbau und Tierleben in ihrem Zusammenhang betrachtet«, von Dr. Richard Hesse und Dr. Franz Doflein. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1914.
Zu den raffiniertesten Schutzwaffen, die im modernen Krieg gebraucht werden, gehören die Fallgruben. Es sind dies tiefe kreisrunde Trichter, die man vor den Stellungen in der Erde aushebt und am untersten Ende mit einem aufragenden spitzen Pfahl versieht. Gerät ein Angreifer an den Rand eines solchen Trichters, so gleitet er unfehlbar an der glatten Wand nach unten und spießt sich auf dem Pfahl auf.
Genau die gleiche Einrichtung schafft sich eine Käferlarve, die man Ameisenlöwe nennt. Er tut es aber nicht um seine Feinde zu vernichten, sondern um sich lebendige Nahrung einzusaugen. Der ganze Körper des Ameisenlöwen ist mit ziemlich steifen Borsten bedeckt. Durch zuckende Bewegungen schafft er mit ihrer Hilfe Sand aus dem Boden, bis er eine trichterförmige Grube fertiggestellt hat. An deren spitzem unteren Ende wühlt er sich dann selbst ganz in den Sand, aber so, daß an der Stelle des Trichters, wo die Soldaten bei ihren Bauten den spitzen Pfahl hinstellen, seine mächtig entwickelten, am Innenrand mit Zacken versehenen und säbelartig gekrümmten weit aufgesperrten Kiefern hervorstehen.
Der Ameisenlöwe stellt seine Grube an Stellen her, wo kleine Insekten, vor allem Ameisen, vorbeizulaufen pflegen. Wenn eins dieser Tiere an den Rand der Grube gerät, so rutscht es die steile Wand hinunter und fällt in die drunten aufgesperrten Kiefern des lauernden Jägers, die sich sofort über dem Opfer schließen. Am allerseltsamsten äußert sich die Intelligenz eines auf so niederer Stufe stehenden Tiers, wie es der Ameisenlöwe ist, falls es einmal vorkommt, daß das herabfallende Tier nicht in den Bereich der Kiefern gerät. Sobald das Opfer dann wieder anfängt, an der Wand des Trichters emporzukriechen, schleudert der Ameisenlöwe einzelne Sandkörner gegen die Wand. Häufig trifft der Schuß die kletternde Ameise selbst, sonst aber die Wand über ihr, so daß kleine Stückchen sich loslösen, und das geängstigte Tier wieder in die Tiefe der Grube hinunterfällt, wo es nun mit Sicherheit in den Bezirk der Freßorgane gerät und endgültig gefangen wird.
61. Der Roman des Bandwurms
Quelle: Wilhelm Bölsche: »Das Liebesleben in der Natur«, erste Folge. Verlegt bei Eugen Diederichs, Leipzig, 1901.
Vom Standpunkt des Menschen aus gesehen, gehört der Bandwurm gewiß nicht zu den Segnungen der Natur. Ein Schmarotzertier an eklem Ort, ist es ein Geschöpf, an das man sich nicht gern erinnern läßt. Aber die 88 Gnadensonne, die das ewige Werden im Weltganzen bescheint und weckt, strahlt auch über ihm; sie leuchtet dem Bandwurm in den Tiefen der menschlichen Darmschlingen ebenso wie dem stolzen Reiter auf lachenden Gefilden.
Auch der Bandwurm soll leben und seine Art fortpflanzen können, und da zwischen den verschiedenen Siedlungsstätten dieser Tiergattung, die immer wieder die Eingeweide menschlicher Individuen sind, keine direkte Verbindung besteht, so wird ein höchst umfangreicher Apparat in Bewegung gesetzt, um diesen
Weitere Kostenlose Bücher