Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
etwas. Tommy setzte ein paar Mal zum Reden an, stockte aberimmer wieder vor dem ersten Wort. Und dann, ganz plötzlich, fiel mir dieser Augenblick in der Kammer des Wissens ein, der Moment, als ich ihn gefragt hatte, warum er ausgerechnet Gedankenlesen gewählt hatte.
»Ist es wegen Jesse?«, fragte ich vorsichtig.
Tommy sah mich an, aber er schien durch mich hindurch zu sehen.
»Ja«, sagte er, und auf einmal wurde es im Zimmer vollkommen still. Selbst Jever und Lazy hörten kurz mit dem Kauen auf und schauten Tommy an. Sie spürten sofort, dass er jetzt traurig war. Doch dann straffte sich Jevers Herrchen und gab ihm einen Klaps aufs Hinterteil.
»Ich habe letzte Nacht noch lange wach gelegen und genau über diese Frage nachgedacht. Was hätte ich sonst gewählt? Ich weiß es nicht. Aber jetzt konnten wir das Gedankenlesen ja gut gebrauchen.«
»Stimmt schon«, sagte Janine. »Aber eigentlich wolltest du sie für was anderes, stimmt’s?«
Tommy schaute sie fragend an.
»Du wolltest gar nicht darüber nachdenken. Du möchtest Gedankenlesen können und nichts anderes. Wegen Jesse.«
Ich sah, dass Tommy mit sich kämpfte. Seine Augen schimmerten feucht. Ich musste an den Augenblick denken, als wir beide an der Klippe gestanden hatten und er sich, wahrscheinlich zum ersten Mal, ein Stück von seinem Vater gelöst hatte. Den zweiten Teil seines Problems hatte er noch vor sich.
Ich sagte: »Geh hoch und frag ihn. Oder nimm das Buch mit und lies seine Gedanken. Hauptsache, du hast es hinter dir.«
»Und wenn ich dann überhaupt keinen Vater mehr habe?«, fragte Tommy traurig.
Wir brauchten einen Moment, bis wir verstanden, was Tommy damit sagen wollte. Sanne strich ihm zärtlich über den Arm.
»Dann hast du immer noch uns!«
Ich konnte die gedrückte Stimmung kaum noch ertragen, sprang auf und sagte: »Ich geh jetzt ins Internet und schau mir den Mond an!«
Das lockerte die Atmosphäre und voll Spannung rappelten sich auch die anderen auf, um mir über die Schulter zu blicken. Als ich den Computer anmachte, sah ich im Monitor, dass Janine sich hinter uns noch einmal bückte und etwas aufhob. Als ich mich umblickte, war sie schon an der Tür.
»Legt schon los, ich muss nur noch mal!«
Diesmal kam ich völlig problemlos ins Netz. Ich tippte mein Passwort ein, die Verbindung baute sich auf, und ich gab einfach den Suchbegriff Mond ein.
»Hoppla!«, rief ich, als das Ergebnis erschien. »Das sind ja über 18 Millionen Websites mit Mond!«
Sannes Zeigefinger zeigte gleich auf eine der ersten Adressen in der Liste ganz oben.
»Nimm doch die hier: Mond.de.«
Ich klickte auf den Link, und die Seite baute sich auf. Einwunderschönes Bild vom Weltraum mit dem Mond genau in der Mitte erschien. Auf der Seite waren jede Menge Verweise auf Dinge, die mit dem Mond zu tun hatten.
»Bingo!«, rief Tommy. »Da steht auch was zum Thema Mondphasen!«
Staunend lasen wir die Erläuterungen. Sanne war so fasziniert, dass sie den Text leise vor sich hinmurmelte: »Es gibt eine siderische Periode und eine synodische Periode. Oh Mann! Die siderische ist die Zeit, die der Mond braucht, um bezüglich eines Fixsterns wieder die gleiche Position einzunehmen, und dauert 27,3217 Tage. Die synodische Periode ist die Zeit zwischen zwei gleichen Mondphasen, zum Beispiel zwischen Neumond und wieder Neumond. Sie beträgt 29,53 Tage.«
»Aha«, sagte ich. »Ist ja toll. Ich dachte immer, eine Mondphase dauert genau 28 Tage.«
»Hm.« Tommy stutzte auch. »Und so, wie das hier steht, ist eine Mondphase eigentlich kein Zeitraum, sondern ein Zustand, wie zum Beispiel Neumond.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber das kann nicht sein. Das macht ja keinen Sinn. Dann hätten wir ja so gut wie gar keine Zeit für die Gabe.«
Wirklich merkwürdig, dachte ich und surfte weiter. »Lasst uns noch ein paar andere Seiten ausprobieren.«
Aber mit den Hinweisen, die wir auf den anderen Seiten fanden, kamen wir auch nicht weiter. Wir waren ratlos.
»Joe«, sagte Sanne hinter meinem Rücken, »du hast doch vorhin auf Mondphase gedrückt, und dann kamen die Begriffe siderische und synodische Periode. Meint ihr nicht, dass Periode und Phase dasselbe bedeuten?«
»Mensch, Sanne!«, rief Tommy. »Klasse! Natürlich! Du hast recht. Ganz bestimmt sogar.«
»Aber es gibt zwei!«, wandte ich ein. »Und welche ist nun die richtige Phase?«
Angestrengt dachten wir über dieses neue Problem nach. Doch so sehr ich auch grübelte, ich war mir nicht
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