Das Buch der Gleichnisse
einen Freibrief dafür, nicht beschreiben zu müssen, was er erfahren hatte! Aber er war durchgekommen! Obwohl er erst fünfzehn Jahre alt war! Und da hatte er das Recht, es nicht verstehen zu müssen!
Wenn man sich nur die Zeit ließ, den Häuten und den weichen Bewegungen im innersten heiligen Raum zu lauschen, dann konnte man erahnen, wie es war . Und musste dieses Glaubenserlebnis nicht beschreiben. Dies mit den Benennungen dürfte es gar nicht geben. Er wusste, ungefähr so sollte es sein. Sich vorzustellen, dass das Kind es richtig erahnt hatte, obwohl es ein Kind war!
Es dann vergessen, so viele Jahre.
Und dann erinnerte er sich , gerade als der Krankenwagen Fahrt aufgenommen hatte und er abhob, wie ein Albatros über der Eiswüste. Flog man hoch, konnte man ruhig denken, zum ersten Mal.
Jetzt, bald, sollte er da denken.
*
Im Oktober 2011 plötzlich heftige Blutungen.
Er starrt an die Decke des Krankenwagens, war es diesmal ernst? Es ist der Enquistmagen, der am Ende zuschlägt, im Alter von siebenundsiebzig Jahren. So komisch, er ist ja so viele Male auf dem Weg gewesen. Zwei Herzoperationen. Der Magen, das Loch, das die einfältigen Helfer nicht wiederfanden. Aber erst jetzt! Im Oktober 2011!
Und alles, wozu die Zeit nie gereicht hat! Wie beim Elof!
War er wirklich der Einzige in der Familie, der all diese komischen körperlichen Eigenheiten kultivierte? Besonders den Magen! Es war ja hauptsächlich dieses Kuriose , bei dem sie sich aufhielten.
Vor Angst gelähmt, sozusagen. Murmelnd, dass die Dummheiten natürlich waren, wie der Magen zum Beispiel. Und nicht Wahnsinn.
Das, was anderst war, hatte sich lediglich verkleidet! In Kunst!
Der Großvater Per Walfrid hatte – nur als ein Beispiel!, bereits erwähnt! wann hört dieses Wiederkäuen auf! – neben der Dorfschmiede eine Fuchsfarm und hatte einmal einen ersten Preis in Stockholm gewonnen, als er mit dem Nordpfeil einen Kreuzfuchs von ungewöhnlicher Schönheit dort hinunter zu einer Pelztierausstellung transportiert und daselbst aus der Hand der Königin einen Pokal entgegengenommen hatte. Schöner als sein eigener Litteris et artibus.
Alle im Dorf sahen das Ereignis mit dem siegreichen Kreuzfuchs als ein Wunderwerk an, also ein Kunstwerk, und wurden aufgerüttelt. Es war ein Gleichnis und eine Prophezeiung, die das Unerklärliche daran mindern sollte, dass der erkorene Künstler der Familie , de Elof, mir nichts, dir nichts starb, bevor er auch nur die Gleichnisarbeit hatte beginnen können.
In der Nähe des Todes waren die Rituale beruhigend.
Die Geschichte vom Kreuzfuchs, das erste durch und durch biblische Gleichnis des Dorfs, war stark und beruhigend.
Großvater P.W. war der Erste! Es war etwas Großes und Rätselhaftes mit diesem der Erste . Es war wie die Frau auf dem Larssonhof! Die man ja auch als ein Kunstwerk sehen konnte, wenn man wollte. Das wollte er auch gern. Es war großartig, der Erste zu sein. Aber dass Großvater P.W., der Dorfschmied, der Künstler sein sollte, der ein Kunstwerk schuf, das in Stockholm einen Preis bekam!
Der Artikel mit dem Foto von P.W. und dem wild starrenden Fuchs auf seinem Arm war auf Seite 12 der Stockholms-Tidningen gedruckt, wurde dann mit der Schafschere ausgeschnitten und hinter Glas an der Küchenwand aufgehängt, wo alle ihn sahen. P.W. hatte deshalb das übliche Jesus-Bild »Kommet her zu mir alle«, das vorher dort gehangen hatte, abgenommen und es in den Schlafzimmeralkoven gestellt.
Danach hatte man im Dorf angefangen, darüber zu reden, dass P.W.Enkvist sich für was Besonderes hielt, und da hatte Großmutter Lova die Bilder zurückgetauscht.
Das Enkelkind hatte diese Geschichte bis zum Überdruss gehört, sie geliebt und sie als Erwachsener in einigen seiner meistgelobten Bücher erwähnt und die Fotografie auf diese Weise geistig wie physisch an einen sichtbaren Platz in der Öffentlichkeit zurückgehängt.
Die Geschichte vom Kreuzfuchs war für ihn ein biblisches Gleichnis. Stärker und kräftiger als die verwässerten und magermilchigen Gleichnisse des Neuen Testaments, wie zum Beispiel das vom verlorenen Sohn. Das war ja nur quälend und scheuerte. Besonders als er selbst aus dem Behandlungsheim, also dem zweiten Irrenhaus für Trinker, dem auf Island, gekommen war und ihm als Widerrede dieses Gleichnis um die Ohren geschlagen wurde, weil alle damit andeuten wollten, dass er bald einen heftigen Rückfall haben würde. Es kam gleichsam zu einem Kampf zwischen den
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