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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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begann schließlich den Nachruf des Vaters zu mögen. Er war rein. Keine Verkrampftheit, von der es im Arbeitsbuch zu viel gab, diese ständigen, wiewohl zitterhändigen frohen Gedanken .
    Aber er hörte, in seiner eigenen Glaubensangst, oft den kreischenden Ton der ungespielten Geige. Und in der Partitur seiner eigenen achten Sinfonie wurden es nur verzweifelte Ausrufezeichen, und ein vereinzeltes Lappalien .
    Er hat Angst. Das ist die ganze Sache.
    Allerdings – nur in einem modernen, topp ausgerüsteten Krankenwagen, mit Satellitenverbindung zur kardiologischen Abteilung in Karlstad, kann man die Gedanken über das Leben, den Tod und die sexuelle Lust sammeln.
    In Värmland hatte er die Verlockung gespürt.
    Hatte er nicht gerade eine Epistel über die Pfingstbewegung und den Herrnhutismus niedergeschrieben? Doch ohne mit einem einzigen Wort vor der Gemeinde und allen Zeugen zu bekennen, was ihn an diesen frommen Sekten gelockt hatte: nämlich die Sexualität! Die Lust! Und sich deshalb, als es vorbei war, in seiner ganzen Verlogenheit, eigentümlich leer und ausgelaugt gefühlt. Aber diese geistige Mattheit, die nicht vom oberen Magenmund oder von wachsenden Pfropfen in seinem immer langsamer arbeitenden Herz herkam, hatte wohl eine andere Erklärung. Hatte nicht Sibelius eine Antwort zu geben? Als dieser die verbotenen Notenzeichen niederschreiben sollte, wurde er gleichsam gelähmt, nahezu allmächtig und vermochte sich nur durch den herrlichen Branntwein ins Leben zu retten – und wurde dann deswegen getadelt!
    Man wundert sich!
    Obwohl – hätte er sich nicht damit begnügen können, wie die Mutter, »Still ruht der See« zu orchestrieren, wo die zweite Stimme ja schon eingeübt war? Statt sich dem Tod zu nähern mit der Achten Sinfonie in Fetzen, wo die armseligen Noten von herabgerutschten Hosen aufgefangen wurden, die an den Füßen hingen?
    Gedankenlos und dumm? Nein! Er hatte erwidert: Nix da!!!
    Das war die Botschaft von Sibelius. Die Achte Sinfonie sollte die Natur der Liebe erklären. Hatte er selbst nicht, beinahe wissenschaftlich, das Gefühlsleben des Monsters und Doppelschädels Pasqual Pinon erklärt, und die Empörung seiner Ehefrau Maria, als er untreu war? Und als Rache für seine Untreue! Als Sinnbild für die Verzweiflung und Normalität der Ehe! Hatte sie nicht – sie, der obere, festgewachsene Doppelschädel, der ja nicht sprechen, sondern nur stumm die Lippen bewegen konnte, als wäre sie ein Bild auf einem Handy! –, hatte sie nicht böse gesungen ?
    War dies das Bild der Liebe? Aber welcher? Die langsame und weiche Verzweiflung, wie die zweite Stimme in »Still ruht der See«, wie die Frau auf dem Larssonhof oder die schneidenden Bittrufe der verworfenen Noten in Sibelius’ schlabbernden Hosen.
    Er hatte kaum noch Zeit. Lappalien. Gib nicht auf. Nix da!
    Dies war der Standpunkt, wenn es schneidend wurde. Die Bewegungen des Mundes im Handy stumm, aber sprechend.
    Die Schuld der Geige? Oder auf jeden Fall des Bogens?
    Es war, hatte er sich gesagt, naturschön in Värmland, dicht an der norwegischen Grenze.
    Er fuhr jeden Tag mit dem Rad um den See, und es waren zehn Kilometer, nachgemessen! Er keuchte schwer, aber da war irgendein Echo im Innern des Keuchschädels, das ungewöhnlich war, das er nicht kannte; wie ein stilles Knirschen, vielleicht von Papas Geige, die ungespielt gewesen war, sich jetzt aber selbst in Gang setzte; es war nicht wie Posaunenschall , sondern ein etwas ängstliches Streichen. Er versuchte es als eine Botschaft vom Vater zu sehen, etwas anderes konnte es wohl nicht sein?
    Es erfüllte ihn in gewissen schlaflosen Nächten mit einer eigentümlichen und glücklichen Erregung, aber nur in gewissen.
    Die Symptome waren ansonsten glasklar. Er hatte Schmerzen in der Herzgegend, ließ sich aber nicht hinters Licht führen, sondern seine eigene Analyse zeigte geradewegs auf Probleme mit dem oberen Magenmund. Hatte nicht sein dritter Roman, schon im Alter von siebenundzwanzig Jahren!, von ihm ausgestrahlt in die Öffentlichkeit, Magenbluten und eine Operation nach Billroth 2 mit sich geführt. Und diese Operation war perfekt verlaufen! Eine Prachtrettung! Hatte man nicht in seiner ganzen Familie Magenprobleme gehabt! Hieß es nicht »der Enquistmagen«? Waren nicht västerbottnische Bauern in seiner Familie seit Jahrhunderten an Magenschmerzen gestorben, einer ererbten Schwäche des Magens, die dazu führte, dass manche direkt, wie aus einer Kanone abgeschossen,

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