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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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heimgerufen wurden zum Erlöser, während andere weitermachten, weidwund wie schreiende Krähen, aber weiterlebend? Fand sich nicht die nahezu intellektuelle Krankheit Porphyrie in den Genen der Familie vergraben? Und alle hatten sie den kränklichen Enquistmagen wie ein Medaillon mit sich herumgetragen, als etwas, das sie vom Gewöhnlichen unterschied. Der Magen erhöhte sie alle und hatte sie zuweilen zu etwas Gesegnetem heimgerufen, über das Gewöhnliche hinaus , wenngleich in aller Demut.
    Er war einer von ihnen. Er sah die Dinge klar. Von einem Herzfehler war nicht die Rede. Die Enquists besaßen Magen, nicht Herz.
    Es war ein sonderbarer Frühling und Sommer. Die Hitze schien ihm eine Kuppel überzustülpen, die es ihm schwermachte zu atmen, er fuhr jeden Tag Rad, kontrollierte die Zeit mit der Stoppuhr. Seine Zeiten wurden schlechter und schlechter, doch er erschrak nicht: Es war, als ob ein natürlicher Verfallsprozess ihn mit sich führte, hinein in die Geheimnisse des Enquistmagens. Er fühlte sich damit vereint. Es war bald vollbracht. In Kürze würde er in seinen Wurzeln aufgehen, und in seinen Vorvätern, in ihren Mägen, vielleicht als Überlebender, eventuell als Toter, doch das machte nichts.
    Der Magen war also die Heimkehr. Erst wenn er im Enquistmagen aufgegangen, also in den Fluss des Pfeils hinabgestiegen war, würde er die Natur der Liebe verstehen können.
    Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich ganz. Der Schmerz war logisch. Er konnte schwer atmend auf halber Höhe der Steigungen stehen, später im Sommer am Fuß der Steigungen, und spüren, wie der Schmerz langsam wich und sich verteilte, was dazu führte, dass er mit dem Fahrrad die Steigung hinaufgehen konnte, immer langsamer, und jeden Tag wurde die Sorge seiner Angehörigen irritierender, wirklichkeitsfremder. Es war ja der Magen, der sein Problem war, nicht das Herz; und als er zehn Tage zwangsweise im Krankenhaus in Karlstad lag, wurde seine Analyse immer klarer. Er stellte sich in seinem immer traumartigeren, apathischen Zustand vor, dass er dort Dr. Hultman begegnen würde! Der den Vater umgebracht hatte! Und dann mit ihm ins Gespräch kommen! Mit einem Triumphgefühl registrierte er die verwirrten und verlegenen Gesichter der Ärzte angesichts seiner scharfsinnigen Analysen (der obere Magenmund!, der obere Magenmund!): Die Schmerzen waren wirklich, die Diagnose bewundernswert, war er nicht Schriftsteller! Beinahe Poet!
    Und konnte den vier Zentimeter langen Pfropfen, der, wie sich später zeigte, in seinem Herzen saß, ignorieren.
    Die Ärzte waren verzaubert von seiner Klarsicht. Aber sahen sie nicht seinen heimlichen Wunsch, nur zu sterben?
    Sich still und leise aus dem Staub zu machen?
    *
    Die seine Bücher lasen, schrieben ja manchmal an ihn, weil sie glaubten, er verstehe etwas. Sie baten ganz einfach um Hilfe. Herr, erbarme dich! Sollte er Ratschläge erteilen!
    Verkündete man, musste man sich jedoch mit diesem Missverständnis abfinden.
    Aber gab es nicht einen Tonfall von Seelsorger in dem, was er schrieb? Abwehrend sowie einladend. Und hochmütig! Seine Verkündigung war demütig, aber doch ausgedehnt wie der Meersee, tief wie Hornavan, vollendet wie Sibelius’ Achte, einsichtig patiniert wie das Bahnhofsgebäude von Bastuträsk vor der Stilllegung: Seine Sprache fiel langsam zusammen, die Wörter reproduzierten sich selbst, war das nicht eine Bestätigung? Verbrennen! Verbrennen!
    In der Regel lehnte er ab. Er schrieb kurze Antworten und strengte sich an, freundlich zu sein. Dieser Schriftsteller, schrieb er, hat keine Einsicht in irgendetwas, und ich beschäftige mich gerade mit einem großen Werk – doch nicht mit einem Liebesroman –, das meine Zeit beansprucht, und will nicht. Stellung nehmen.
    Auf dieses will nicht lief es hinaus.
    Es ging wohl an, solange er wirklich irgendwie beschäftigt war. Aber den größeren Teil der achtziger Jahre war er ja hauptsächlich sturzbetrunken gewesen. Da hatte ja, was die Antworten betraf, eher Unsicherheit bestanden. So war er, erinnerte er sich, Hals über Kopf in diese wahnsinnige Geschichte mit einer Frau hineingestolpert, die er später Lisbeth nannte. Wonach er das, was geschehen war, verdeckt und revidiert hatte. Er hatte die Liebe in ein Schmierenstück fürs Theater gestopft.
    Wieder einmal!
    Warum musste er hineingezogen werden. Im übrigen war er ja beinahe ständig betrunken. Und schlief dann meistens. Verkünder, war ihm klar geworden, hatten das Recht zu

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