Das Buch der Gleichnisse
rätselhafter Unterton hier im Raum oder der Zelle, konnte man nicht Zelle sagen. Etwas war da.
Und jetzt kam die gleiche erklärende Leier wie am Telefon. Also bevor sie zusammenbrach und schreiend zu weinen begann.
Das Gespräch am Telefon war völlig verwirrt gewesen, jetzt kam es distinkter.
Sie hatte sich wohl gefasst.
Man hatte eine Zukunftsgruppe an der Universität gegründet, erklärte sie ruhig, die nicht theologische Grauzone (ein Rückfall in die ironische Ruhe!; es war nach einem höchst gelungenen Beischlaf, als er ihre Ironie moralisch verantwortungslos genannt hatte, dass die Risse zwischen ihnen ernsthaft aufgebrochen waren) – mit alternativen Versuchen im Psychosektor, und wir laborieren in den Grenzbereichen, wo wir bestimmte einfache Unterscheidungen vorzunehmen versuchen: Wie wird der Mensch der Zukunft aussehen, welche Bedürfnisse hat er/sie, ist Zugehörigkeit oder Freiheit die unterste Wurzelfaser, wo sind die schwarzen Löcher im Universum der Psyche, was ist der Unterschied zwischen Mensch und Nichtmensch. Du kannst es ja an Siklund sehen, so schwer er auch zu deuten ist, hatte sie gesagt , diese Sehnsucht nach Schuld. Dieses Unbegreifliche.
Und er hatte gefragt: Wie seht ihr denn den Unterschied zwischen Mensch und Nichtmensch? Und sie hatte geantwortet, Du kannst eine Auster mit einem Tropfen Zitrone testen , lebt die Auster, zieht sie sich zusammen, ein Mensch reagiert in gleicher Weise auf ein Tier, es ist das Menschliche, das freigesetzt wird. Auf eine Katze, hatte er gefragt, ja, oder einen Hund oder ein Pferd, aber eine Katze ist praktisch.
Der Gedanke war ja selbstverständlich. Den Geisteskranken wurde ein Tier zugeteilt. Es war heilsam, Verantwortung für ein Tier zu übernehmen.
Das Problem war, dass der Junge seine Katze zwar sehr liebte, aber dennoch beharrlich versuchte, sich das Leben zu nehmen. Vielleicht war das Bild von der Auster und der Zitrone nicht ganz falsch. Die Katze war ein Tropfen Zitrone, und dann zog der Junge sich zusammen, und dann der Tod.
E hatte zugehört.
Der Junge saß still da. Es war der 22. September 1977, die erste Begegnung im Irrenhaus. Und der Junge hatte mit einer direkten und einfachen Frage angefangen. Sie lautete:
»Warum durftest du nie eine Katze haben?«
Und Es Antwort ebenso einfach:
»Wir hatten einmal eine Katze. Aber sie schiss auf den Herd. Da mussten wir sie wegmachen.«
»Wie denn?«
»Töten. Mit der Axt. Onkel Ansgar hat es gemacht.«
»Aber wer hat es bestimmt?«
Der Junge Siklund hatte mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit die Gesprächsführung übernommen. Im übrigen nicht eine Blume, nicht eine grüne Pflanze im Zimmer oder der Zelle. E erinnerte sich, dass er in Kopenhagen einen Benjaminfikus gehabt hatte, er stand am Fenster, das auf die Sortedam Dosering hinausging. Wie man ihn auch goss oder es sein ließ, er starb. Er war zu der Überzeugung gekommen, dass sie ihn hineingestellt hatten, um zu testen, wie lange die Pflanze es aushielt. Mit ihm aushielt also. Es waren wohl die Alkoholdünste aus seinem Mund, wissenschaftlich gesehen, die tödlich wirkten.
Starb die Pflanze, war wenig Hoffnung.
Jeden Morgen zählte er die abgefallenen Blätter. Es war unausweichlich. Aber der Junge hatte keine Grünpflanze! nicht eine einzige! und hatte, kurz bevor E gegangen war, gesagt, dass alle Pflanzen starben, die sich im selben Raum befanden wie er.
Seltsam!
Der Junge dachte genauso! Alles stirbt in meiner Nähe! Nur die Katze hielt es aus.
Er ritt auf gewissen Fragen herum, es war unangenehm. Ganz private Dinge über E selbst! Man begreift nicht, woher er die Information hatte. Konnte es Lisbeth gewesen sein? Aber so offen war er zu ihr nicht gewesen. Und dann die Fragen danach, wer bestimmte, dass die Katze, die auf den Herd geschissen hatte , sterben sollte. Er musste es dem Jungen im Februar 1973 erzählt haben, als er zu Besuch war, und der Junge mit glänzenden Augen dagesessen und nach Dem Grünen Haus gefragt hatte.
Man konnte solche Gespräche nicht führen, sie lenkten in die falsche Richtung. Der Junge schleckte Schuld und Rache auf wie eine durstige Katze.
Lisbeth rief ihn zur Ordnung.
Und der Junge hatte – trotzend! – beinahe glücklich gelacht und genickt und gesagt:
»War es deine Mutter? Dann muss sie sterben.«
Man konnte solche Gespräche nicht führen.
*
Es war eine Gruppe von fünfen, denen je ein Tier zugeteilt worden war. Und dann eine Kontrollgruppe von
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